Infolge des abgeschlossenen
Achsbauprojektes im Sommer 2014 befand ich mich in einem Zustand der
Projektschwebe. Monatelang zuvor konnte ich meinen körperlichen und
geistigen Schaffensdrang kanalisieren und kontrollieren und nicht zuletzt
von dem großartigen Naturereignis, welches in Island derzeit stattfindet,
recht effektiv ablenken. Nun packte mich aber wieder völlig unverhofft die
vollendete Vulkan Euphorie. Dies war zu einem bestimmten Teil
auch dem
"Misserfolg 2010" am Eyjafjallajökull geschuldet. Die
Tatsache, dass solche Vorkommnisse zeitlich begrenzt sind und innerhalb
eines Menschenlebens nicht all zu oft auftreten, verleiht dem Drang nach
einschlägigen Eindrücken eine zusätzliche Würze.
Die ranghohen, bekannten Foto-Island-Internetter waren sämtlich schon vor
Ort gewesen und einer nach dem anderen veröffentlichte haufenweise tolle Bilder.
Ich konnte deren alberne Clowngesichter auf den Aufnahmen mit der
Eruption im Hintergrund einfach nicht mehr ertragen. Selbstverständlich
gründet das ausschließlich auf blankem Neid, das versteht sich von selbst.
Neben einigen wirklich hervorragenden Fotos gab es immer auch die
Pflicht-Beweisfotos, die irgendwie an die "Schulter-an-Schulter-mit-Mickymaus" vor dem Magic-Kingdom erinnerten. Die Wind verrauschten
YouTube Videos mit den Lavafontänen sprudelten nur so im Netz. Wie auch immer
verschafften sich diese High-Performer Zugang zu dem an sich gesperrten
Gebiet, in das noch nicht einmal die Einheimischen selbst durften. Aber ich bin
weder Journalist, Fotograf noch Wissenschaftler und Verbindungen nach
Island, die hier vorteilhaft wären, unterhalte ich leider auch nicht. Als
südhessischer Sitzpinkelspetzel ohne Vitamin B fand ich mich in dieser
Angelegenheit am unteren Ende der Nahrungskette wieder. Der Weg aus einer
spießbürgerlichen Umgebung an die spektakulären Ecken dieser Erde ist eben
weiter und steiniger als der von Vollprofis.
Das spornte mich aber an, und im Kopf reiften nun mehrere Szenarien. Der
Ausbruch befand sich in der Holuhraun-Ebene, die ich schon aus mehreren
Islandurlauben kannte. Auf vielen Internetseiten wurde vor der
Schwefeldioxid-Emission gewarnt, die der Auswurf mit sich brachte. Wenn da
eine Senke voll läuft und der Wind das giftige Gas nicht ausreichend
verweht, bekommt man ein Problem. Ich habe das in Chile mal erlebt und
erinnere mich mit Schaudern an die Atemnot, die von dem Gas ausgeht. Auf
dem Gipfel des Villarrica ging damals ganz ordentlich der Wind und trotz striktem
Verbleib in der Luv-Zone reichte die Luftbewegung zeitweise nicht aus, um
die giftigen
und ätzenden Gase vollständig fort zu blasen. Dem könnte man immerhin mit geeignetem
Atemschutz begegnen, die Verbotszone jedoch verblieb und damit auch die
Unerreichbarkeit.
Eines Tages erschien im Netz eine völlig
abgefahrene Satelliten-Infrarotaufnahme, die das ganze Ausmaß des Lava-Flusses eindrucksvoll zeigte. Da wusste ich, dass ich nicht an einer
vor Hitze flimmernden und knisternden Lava-Moräne stehen wollte, nur um weit im Hintergrund den
Ausbruch toben zu sehen. Selbst die aktuellen Langzeitfotos der CCD-Götter zeigten
kaum glühende und
brodelnde Suppe und das war es, worum es mir vornehmlich ging. Dieser
Ausbruch hatte etwas an Intensität verloren und wollte von oben gesehen werden. Ich möchte
aber gucken wie der ganze glühende Kram aus der Erde sprudelt und bis zum
Horizont läuft. Ich wollte die Fläche überblicken, die von erkaltender
Masse überdeckt wurde. Ich wollte das gesamte Ausmaß des jüngsten aller
Erdböden von vorne bis hinten bestaunen. Das waren inzwischen einige
Quadratkilometer und die Relation zu dieser riesigen Hochebene fixte mich
an. Leider gibt es in der Gegend keine geeignete natürliche Erhebung, die
nahe genug am Ort des Geschehens liegt, um eine entsprechende Perspektive
zu erhalten. So bleibt nur das Flugzeug, selbst wenn man dann auf
die Gerüche, die Geräusche, die Erdbeben und damit auch auf einen gewissen Teil
der Atmosphäre verzichten muss.
Bei den üblichen Verdächtigen wurden natürlich haufenweise Flüge angeboten
und die betreffenden, einheimischen Veranstalter rührten gehörig die
Werbetrommel. Davon lies ich mich aber nicht verarschen, denn die
angeblich tägliche Folge von Flügen ins isländische Hochland können die
Anbieter niemals einhalten. Dafür liegen die wettertechnischen
Voraussetzungen schlicht nicht oft genug vor. Mich würde es wundern,
wenn da 1/4 aller Termine zustande kommt. Da kann man auch eine Woche
investieren, am Terminal ausharren und es findet kein einziger Flug ins
Hochland statt,
weil die Sicht nicht ausreicht, die Wolkendecke aufliegt oder der Wind zu
stark ist. Die Flugplätze liegen allesamt an der Küste und der Ausbruch
befindet sich mitten im Hochland. Die Wetterlagen, die bei diesen
Verhältnissen und bei den Temperaturen im November in Island einen VFR-Flug (nach
Sicht) ermöglichen, sind äußerst selten. Bei dem Holuhraun-Feld handelt es sich um ein hoch gelegenes Plateau im Zentrum der Insel. Der
Ausbruch liegt wettertechnisch in unmittelbarer Nähe des Gletschers Vatnajökull. In Anbetracht aller gegebenen Unbekannten bedarf es einer
ausgeprägten Zwischenhochwetterlage mit vorherrschender Südwestströmung, um
überhaupt die Chance auf gutes Wetter zu haben. Andere geeignete
Wetterlagen sind selbstverständlich auch denkbar, aber weitaus weniger
wahrscheinlich. Dazu werden die Tage merklich kürzer, was das
Operativfenster der Luftfahrzeuge zusätzlich einschränkt. Im Prinzip
verbleiben drei Möglichkeiten, den Vulkan zu erreichen, nämlich der Heli,
die einmotorige Propellermaschine von diversen Startplätzen, oder das
etwas größere Flugzeug aus Reykjavik. Als leidenschaftlich Kunstflieger
ist meine Zuneigung gegenüber den
Rotor-Kaffeemühlen (Hubschrauber) aber beschränkt. Außerdem tun sich
Helikopter
recht schwer, schneller als 100 Knoten zu fliegen und verfügen im
Vergleich zu Flächenfliegern nur über eine geringe Reichweite. Folglich
dauert die rund 250 km lange Reise von Reykjavik zum Bárðarbunga
relativ lange und mich würde es nicht wundern, wenn die Hubschrauber sogar zum Tanken
zwischenlanden müssen. Das Problem mit allen alternativen Flughäfen
und Landeplätzen ist nach wie vor die Notwendigkeit eines guten Wetters sowohl am Vulkan
als auch am Startplatz. Mein Luftfahrt-Hintergrund sprach unter dem
Strich der zweimotorigen Jetstream aus Reykjavik das höchste Blatt in
diesem metrologischen Pokerspiel zu. Die packt 200 Knoten und kann auch
bei Mistwetter starten. Dieses schnelle und robuste Turboprop-Flugzeug
braucht nur gute Sichtverhältnisse am Ort des Geschehens selbst, und kann
die zur Verfügung stehende Tageszeit aufgrund Ihrer hohen Geschwindigkeit
maximal nutzen. Bei Vereisungsbedingungen kann sie geschlossene
Wolkendecken durchbrechen und Teile des Fluges IFR (nach Instrumenten)
ausführen. Nichtsdestotrotz bleibt Planungssicherheit eine Illusion.
Damit mutiert dieses Unternehmen für Typen wie mich zu einem
ausgewachsenen Glücksspiel, wobei obendrein noch die Anreise nach Island
selbst zu bewerkstelligen ist. Ich beschloss einen Trumpf mit ins Spiel zu
werfen, nämlich spontan zu sein. Sollte sich eine für mich brauchbare
Wetterlage abzeichnen, fliege ich sofort am nächsten Tag. Mit meinen
Arbeitgeber besprach ich meine Pläne im Voraus und einigermaßen
erwartungsgemäß reagierte auch mein Chef mit einem gewissen Wohlwollen.
Auch Ulli versprach mir, bei Bedarf den Hausbetrieb und das Finchen trotz
Vollzeitjob für ein paar Tage alleine zu schmeißen. All dies ist
wertvoller als jede noch so ausgedehnte Wartezeit auf der Insel.
Das tägliche Abrufen der entsprechenden Wetterseiten, was ich nun seit
nunmehr sechs Wochen betrieb, verkam sogar schon zur Routine. Dieser
Oktober 2014 hatte es aber auch wirklich in sich und eine taugliche
Wettersituation wollte und wollte sich einfach nicht abzeichnen. "Was ist,
wenn das Ding wieder aufhört zu spucken?", bangte ich schon. Ein
kurzfristiger Autokauf und diverse Umschreibungen und Gutachten für den Ullimog lenkten in heilender Manier von meiner steten Ungeduld ab. Ich
beackerte an jenem Freitag gerade die hierzu notwendigen Formalitäten,
da zeichnete sich überraschend auf der im Hintergrund laufenden Webseite des
isländischen metrologischen Institutes meine Wunschwetterlage für den
kommenden Dienstag ab. "Gaaanz ruhig", ermahnte ich mich. "Das
ist noch lange hin und für eine hohe Wahrscheinlichkeit noch viel zu
früh." Mein
Herz schlug jedoch bis zum Hals, und ich wünschte mir einen Irrtum zu
meinen Ungunsten. Mit Nachdruck ignorierte ich die gewonnenen
Erkenntnisse, gerade weil ich am kommenden Tag die neue Karre abholen
sollte und auch sonst einen vollen Terminkalender hatte. An jenem Samstag
erhaschte ich während Fines Mittagsschlaf ein paar Minuten Ruhe. Ulli
befand sich, wie immer am Sonnabend, auf Ihrem Nachmittagsausritt. Ganz
gespannt rief ich die einschlägige Wetterseite auf. Der zweifelsfrei
künftig vorliegende Hochdruckeinfluss aus Grönland hatte sich sogar noch
deutlicher entwickelt. Genau zur besten Tageslichtzeit würde sich die
schmale, vermutlich wolkenfreie Zone über dem zentralen Hochland befinden.
Der kommende Dienstag
versprach einfach, der Tag des Herren zu werden und mit einem Kloß im Hals
realisierte ich die inzwischen vorliegende Unmöglichkeit, von den
Reiseanbietern rechtzeitig eine Bestätigung zu erhalten. Aber die
Webseite, die 2 Vorlauftage zur Buchung auswies, lies auch Anmeldungen
an Wochenenden zu . Ein Umstand, auf den ich mich berufen könnte. Einen Flug nach
Island selbst zu buchen ist kurzfristig gar kein Problem.
Wie in solchen Pattsituationen üblich, wartete ich auf Ulli, um mit Ihr
die folgenden Tage zu besprechen.
"Du, in Island gibt es am Dienstag endlich das Hammerwetter, auf das ich
schon so lange warte. Ich könnte morgen rüber fliegen. Das Dumme ist
nur, die Agentur hat fürs Wochenende schon zu und ich bekomme vorher keine
Bestätigung mehr" überfiel ich Ulli im Hausflur.
"Ach die kriegen das schon hin. Du weißt doch, Isländer sind da anders
drauf. Du wirst sehen, das klappt schon" antwortete sie knapp und zog sich
die Reitstiefel aus. "Buch einfach, ich kriege das hier schon auf die
Reihe", sagte sie noch grinsend.
Eine Viertelstunde später hatte ich den Vulkanflug bezahlt, einen
Icelandair-Flug für Sonntag bis Mittwoch gebucht und die Jugendherberge
neben dem Schwimmbad organisiert. Kurz darauf stand der gepackte, große
Militärrucksack im Hausflur. Der Plan war, am Montag früh beim
Reiseanbieter Nordic-Visitor aufzuschlagen und womöglich eine zweite,
frühere Chance auf den Sightseeing-Flug zu erhalten. Hauptsächlich
gedachte ich jedoch, meine Reservierung für Dienstag schnellstmöglich zu
bestätigen. In der zwangsläufig anfallenden Wartezeit werde ich mich im
nahen Schwimmbad durchweichen, bedampfen und vollständig zerlaugen lassen. Dieser kleine, nun
organisierte und beschlossene Ausbruch
aus dem geregelten Alltag bereitete mir eine wohlige Vorfreude.
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◊ |
2.11.2014
Ulli fuhr mich um Mittag rasch nach
Frankfurt. Auf der Autobahn erklärten wir unserer Tochter, wo der "Papa"
nun hinfliegen würde. Sie nahm es geduldig auf und bat um eine "Überraschung" als Geschenk, wenn ich am Mittwoch zurückkehren sollte. Am Gate drückte ich noch meine Mädchen ganz fest zum Abschied, und wie durch
einen Vorhang entglitt ich meiner Welt und tauchte in ein neues,
eigenes Abenteuer. Diesmal war ich allerdings ganz alleine. An sich bereitete mir
jener Gedanke an die bevorstehenden Einsamkeit keine Schwierigkeiten,
gleichwohl meine letzte "derartige" Reise schon eine Weile her
war.
Vermissen werde ich die beiden aber schon, und rein emotional half ich mir
mit der nun beginnenden Freude auf ein baldiges Wiedersehen. Für die
vollendete Ablenkung sorgte die frisch erstandene Reiselektüre in Form des
neuen Buches "Der Fluch der Bösen Tat" von Peter Scholl-Latour.
Das entpuppte sich als hervorragendes Buch von einem hervorragenden Autor.
Die gut drei Stunden bis Island vergingen beinahe wie im Flug, ähh ja. Das
Terminal kam mir vom letzten Mal noch bekannt vor. Also zog ich Bargeld an dem bekannten
Geldautomat neben der Gepäckausgabe und war ruck zuck auf dem Weg nach draußen. Ein Zollbeamter in
Zivil winkte mich zu sich und bedeutete mir mit einer Geste, ihm in sein
Büro zu folgen.
"Can I see your Passport, please", fragte er höflich und lächelnd. Ich
reichte ihm meinen Personalausweis, den er kurz überflog, einsteckte und
mich sogleich aufforderte: "Please open your backpack and put everything
on the table." Was soll denn das nun, dachte ich. Egal, schließlich
habe ich gar nichts zu verbergen.
"What is the purpose of your journey?" fragte er. "The vulcano",
antworte ich wahrheitsgemäß. "How long are you going to stay?" fragte
er weiter. Ich antwortete: "three days". Er glaubte mir nicht und
stellte allerhand Fragen nach meinem Broterwerb, meinen vorherigen
Reisezielen, meiner Familiensituation, meiner Ausbildung und meinem
Wohnort. Ich erkannte aber das Muster dieser Befragung und stellte etwas
belustigt fest, dass er nach einigen Minuten immer wieder die
entsprechenden Fragen mit anderen Worten wiederholte. Dabei handelt es
sich um eine in diesen Kreisen gängige Methode. Das ist jedoch wirkungslos, wenn man schlicht und einfach die Wahrheit sagt. Um
auf die Verdächtigung mit einer angemessenen Gegenpeinlichkeit zu
reagieren, versicherte ich dem Beamten: "I am telling the truth, I always
do." Er reagierte nicht, sondern holte einen Kollegen und nun starrten
mich beide ungläubig an. "Do you have a receipt from your travel-agency?"
meinte der neue Beamte. Mist, damit haben die mich am Wickel, denn das
hatte ich ja gerade nicht. Als ich Ihnen den Sachverhalt mit der Risikobuchung und
der so ausgebliebenen Bestätigung schilderte, meinten sie, ich wollte sie
auf den Arm nehmen. "Do you have a confirmation of your hotel?"
erkundigten sie sich. Natürlich
hatte ich keine, denn mir reichte am Vortag die telefonische Zusage der
Jugendherberge.
Fortan war Schluss mit Lustig und meine Glaubwürdigkeit befand sich
endgültig beim Teufel.
"I just have the online-receipt of my credit-card, that has
already been charged", versuchte ich mich zu
rechtfertigen. "You may call them."
"Call them on Sunday?" feixte der Beamte mit zugekniffenen Augen. "Well, call the youth hostel then", versuchte ich es erneut. "I'm not calling
anybody", machte er seinen Standpunkt klar.
"Let me show you the online receipt of my credit-card", schlug ich vor. "Go ahead, you can
use my computer", meinte er und verwies auf seinen Schreibtisch. Also
hockte ich mich an den Rechner der Zollstation, loggte mich ein und zeigte dem Mann die Bestätigung
der Kontobewegung per E-mail. Er winkte seinen Kollegen herbei und nun
berieten sie sich auf isländisch. Wieder stellten sie mir die entsprechenden
Fragen. Aber ich würde diese Aktion mit Höflichkeit, Geduld und Wahrheit
aussitzen und antwortete stets freundlich. Ganz plötzlich war der "Spuk" vorbei,
ich erhielt meinen Ausweis zurück und sollte meine Sachen wieder
einräumen. Ich wurde verabschiedet und stand unmittelbar danach in der vom
Wind gepeitschten Dunkelheit vor der Tür. Na das fängt ja gut an, dachte
ich mir. Warum haben die eigentlich meine Hackfresse auf dem Kieker? War
es der Militärrucksack, vielleicht der kurze Haarschnitt eines
Alleinreisenden? Ich kaufte ein Busticket für den berühmten und höchst
praktischen Hotelbringdienst und stellte mich zum Rauchen an den
Aschenbecher, an dem auch viele andere ihre Postflugzigarette genossen.
"Do I have time for this?" fragte ich den Busfahrer, der wohl im Begriff
war aufzubrechen. "Ahh, I can see you from there and I will not leave
without you", winkte er ab und steckte sich ebenfalls eine an.
Meine Laune erhielt einen positiven Gradienten.
Reykjavik befand sich offensichtlich in einem Bauboom. Große Gebäude
schossen überall aus dem Boden und die Baukräne prägten das Stadtbild.
Alles blinkte und glitzerte und der Busfahrer hatte an der Uferpromenade
einige Mühe den Bus in der Spur zu halten, da der Wind ordentlich von der
Seite pfiff. "It
is 60 km/h of wind today", kommentierte er seine Lenkradbewegungen. "If it's more than 85 km/h, we are not allowed to drive any more", sagte er.
"Last week, it was 130 km/h and it flipped a bus." Ich war mittlerweile der
einzige Fahrgast und plauderte entspannt mit ihm über die Baustellen und
seinen bevorstehenden Feierabend. Er lieferte mich bei meiner Unterkunft
ab und verabschiedete sich herzlich.
Wenig später schlenderte ich mit hochgezogenen Schultern und dick vermummt
in Richtung Downtown. Vor einem Restaurant spielten ein paar einheimische
Kinder mit dem Wind, der sich hier kanalisierte. Die Eltern saßen im
Inneren hinter der großen Scheibe und beobachteten ihren lauthals
plärrenden Nachwuchs. Einer der Buben lehnte sich mit ausgestreckten Armen
in den 3°C kalten Sturm und prahlte mit seiner Schräglage. Er trug nur ein
dünnes, heftig in der Strömung flatterndes T-Shirt. Seine Schwester trug
immerhin ein langes Oberteil, was aber ebenfalls ultradünn war. Die sind echt
anders drauf hier oben und
auch das Wort "Weichei" kam mir angesichts meines Softshells,
meiner Mütze und meines Pullis in den Sinn. Demonstrativ ließ ich meine
Schultern hängen, um sie hinter der nächsten Hausecke frierend wieder
anzuheben. Wenn die isländischen Mamas ihren Kindern in dem
fortschreitenden Winter irgendwann doch mal Mützen aufziehen, liegen die
Strassen in Reykjavik vermutlich voller erfrorener Touristen. Der
Pathologe, der die hohe Anzahl von Leichen nicht gewohnt ist, würde kopfschüttelnd auf einen Haufen
hochmoderner, überteuerter, knallbunter und praktisch ungetragener Kunstfaser-Hightech-Klamotten
blicken, die in dem grün gekachelten Raum
beinahe bis
an die Decke reichen...
Die Ankunft am Dubliner riss mich aus meinen
finsteren Gedanken, die ich mit zwei schnellen Guinness aus dem Fass herunterspülte.
Exzellente Brühe das, aber hallo.
Neben mir am Tresen sitzt "Steve" aus Kanada, ein heiterer Geselle, zu dem
ich irgendwie einen Draht habe. Er ist begeisterter Taucher und war heute
in der Silfra-Spalte "scuba-diving", Er schwärmte ausgiebig von
seinem Erlebnis. Ich erzählte auch von
meinen Plänen und bei weiteren Guinness verlief der Abend feuchtfröhlich
und kurzweilig. Wir hatten schon ordentlich einen sitzen, da riss uns der
Barmann, ein Student aus England, angesichts unserer leeren Gläser aus dem
Gespräch.
"What do my american friends want to drink?" lallte der heftig
angetrunkene Brite.
"American?" wiederholten Steve und ich gleichzeitig und schauten zuerst uns
und dann den Barkeeper fragend und auch etwas vorwurfsvoll an.
"This guy is from Germany", klärte mein Kollege den Engländer auf und zeigte dabei mit mit dem Daumen auf mich.
"And this guy is from Canada", verteidigte ich Steve. Daraufhin hielt dieser
seine Jacke hoch, auf dem selbstverständlich das "Maple-Leaf" prangte,
welches die Kanadier gerne tragen, um einer Verwechslung mit ihren Nachbarn
vorzubeugen.
"Oh, I am exceedingly sorry, ladies", lallte der schlaksige Kerl und stützte
sich mühsam auf seine Arme. "Since my reputation is ruined forever, I
will tell you a funny joke", brachte er blubbernd hervor.
"I don't care what kind of a joke he is telling", sagte Steve leise und mir zu
gewandt. "He already is the most hilarious bartender I have ever met." "Look
at him, he is completely fucked up."
"I think that's so funny",grinste er
kopfschüttelnd.
Schwerfällig begann der Austauschstudent:
"A bloke from Iceland impregnates a girl from Havanna". "What are they
going to have?" fragte er in die Runde.
"An Icecube", prustete er schließlich.
Steve und ich schauten uns mit dämlichen Gesichtern an und verzogen ein
wenig belustigt die Mundwinkel.
"You are not laughing, because you don't have any sense of humor",
meinte der Brite trotzig und zeigte dabei auf mich. "Now you
are telling the next joke, jerry boy", forderte er mich auf.
"Sure there is no such thing like german humor, but here it comes
anyway", antworte ich.
Die beiden starrten mich erwartungsvoll an, der Brite etwas glasiger als
der Kanadier.
"A man walks into a butcher shop and goes:"I'll have one pound of white
pudding, but of the super-rough and extremely fat one, please."
"The butcher goes:"I am sorry sir but she has got her day-off today."
Der Engländer klopfte mit der Hand lachend auf den Tresen und fiel
sogleich
hinter die Bar. Steve krümmte sich ebenfalls bebend, aber vermutlich
wegen der Reaktion des Briten.
Der Student war offensichtlich außer Stande, seine Arbeit weiter zu
verrichten und wurde sogleich von seiner blonden Chefin abgelöst. Wir
plauderten zu dritt noch bis weit nach Mitternacht und feierten den
geselligen Abend ausgiebig. Schließlich war es Zeit zu gehen und wir
verabschieden uns voneinander.
"That's seven Guinness for me", wollte ich meine Zeche begleichen.
"No, you are paying five, so you don't tell anybody beer is
expensive in iceland", verabschiedete mich die Frau zwinkernd. Nun ja, das lässt sich machen,
besten Dank auch, Frau Ober.
Mit entsprechender Schlagseite trat ich vor die Tür und konnte mich
irgendwie gar nicht an den Heimweg erinnern. Ich verpeilter Tresentrottel, da saufe
ich mir derart einen an, dass ich den Rückweg nicht mehr finde. Ich werde
nächstes Jahr die 40 Lenze knacken und so etwas ist doch im besten Falle
pubertär. Ein wenig belustigt über diese peinliche Situation bemerkte ich
ein Taxi, welches in der Nähe wartete. Kurzerhand öffnete ich die Tür und
wand mich dem Fahrer zu."To the youth hostel please, I do not remember the way back", sprach ich
ihn an. "I do remember the way", vermeldete der Fahrer, winkte mich herein und wir
fuhren los.
Völlig geschafft fiel ich auf die Pritsche und schlief auf der Stelle ein. |
◊ |
3.11.2014
Mit überraschend geringen Kopfschmerzen genoss ich
das ansehnliche Frühstücksbuffet der Herberge. Die vier Tassen Kaffee und
der lange Fußmarsch in die Stadt werden die letzten chemischen Andenken vom Vorabend schon aus meinem System treiben, hoffte ich. Tatsächlich kam ich mit
roten Bäckchen und herrlich durchgelüftet um 8:45 im Büro der Agentur
an. Der Empfang war noch nicht besetzt und ich ließ mich zunächst im Foyer
auf einer Couch nieder.
Die Angestellten, die in dem Gebäude arbeiteten, kamen in aller
Morgenfrische das Treppenhaus hinauf gestiefelt. Eine durchaus unterhaltsame
und interessante Szenerie. Schließlich kam eine junge Dame die Treppe hoch,
stellte ihre Tasche ab, und begrüßte mich
freundlich. Sie war wohl im Begriff, ihren Arbeitstag bei Nordic-Visitor anzutreten.
"What can I do for you?" fragte sie mich lächelnd.
"Well, I guess I am early and I do not mean to push you" antwortete ich. "You
will
not be open until nine, so take your time, please", fügte ich hinzu. Isländer
sind in der Regel entspannt und da wollte ich einfach nicht die Welle
machen, schon gar nicht früh am Morgen.
"That is OK, so what's up?" Wollte sie dann doch wissen. Ich erklärte Ihr
die Sache mit meiner Buchung vom Samstag und fragte nach der
Möglichkeit, heute schon einen Sightseeing-Flug wahrzunehmen.
Sie checkte Ihr System und begann sogleich zu telefonieren. Schon eine Minute
später erhielt ich folgende Antwort:
"Thomas, you may fly either today or tomorrow. Just tell the people at the
Terminal you booked with us and I will sort out everything else. Have a
nice flight and good luck with the weather".
Das nenne ich Kundenservice und isländische Organisationsgenialität. Zehn
Minuten vor der eigentlichen Öffnungszeit des Unternehmens befand ich mich
freundlichst und höchst zuvorkommend bedient wieder auf der Straße und
hielt ein entsprechendes Bestätigungsschreiben in der Hand. Zehn von Zehn
und beide Daumen hoch für Nordic-Visitor, würde ich sagen. Somit hatten sich auch einige
der organisatorischen Bedenken in Luft aufgelöst. Mit allerbester Laune
spazierte ich in herrlichem Herbstsonnenschein über das Perlan hinunter zu
dem kleinen Terminal des Stadtflughafens in Reykjavik.
Eine beachtliche Menschenmenge säumte den verglasten Vorraum von "Eagle-Air".
Die Anwesenden waren ausnahmslos potentielle Passagiere des
bevorstehenden Fluges zum Vulkan. Die Maschine war voll ausgebucht und
unter uns herrschte Euphorie und nervöse Erwartung in einem zündfähigen
Verhältnis. Kurzerhand sprach ich ein Paar aus Österreich an, dass
ebenfalls an einem der kleinen runden Tischchen saß und angespannt
Däumchen drehte. Leider setzte sogleich das unter Islandreisenden übliche
Festlegen der Rangordnung ein. Der erste Besuch auf der Insel, die
Verbindungen zu Einheimischen oder sogar Sprachkenntnisse liegen dabei
etwas höher im Kurs als die bereits besuchten Ziele oder die
Anzahl der Islandaufenthalte. Mit 1987 konnte ich
natürlich nicht mithalten und als ich bei der Diskussion über die
Entfernung zum Holuhraun-Feld die Angabe in Kilometer mit der in Seemeilen
verwechselte und mich bei der Höhenangabe des Flugplatzes in Egilstaðir
ebenfalls verschätzte, war ich endgültig als "Unqualifizierter"
entlarvt. Also gab ich damit an, schon zu Fuß im Holuhraun gestanden zu haben, was aber wirkungslos verrauchte und an
meiner schlechten Positionierung nicht mehr rütteln konnte.
Als endlich die zwei adrett gekleideten, jungen Piloten in das Gebäude traten,
ging ein Raunen durch die Menge und es tat sich eine Gasse auf. Sie verschwanden
eilig in einem kleinen Nebenraum.
Jetzt entscheidet es sich, ob wir fliegen oder nicht. Die machen nämlich
jetzt ihr Briefing, mutmaßte ich.
Für die schlechte Nachricht schickte die Flightcrew allerdings das Mädel
am Empfang in die Runde: "The flight has been canceled due to the bad
weather-conditions at the site", vermeldete sie bedauernd. "There is no
visibility and heavy snowfall at the vulcano, and we are very sorry", ergänzte sie noch mit beiden Handflächen
nach oben weisend.
"So ein Pech aber auch, wir fliegen morgen heim", jammerten meine neue
Bekannten. Auch mich überfiel angesichts dieser verflossenen Chance ein
ungutes Gefühl. Aber ich hatte mein Ass schließlich noch im Ärmel, da mein
eigentlicher Flug erst morgen stattfinden würde. Nüchtern bilanziert
verlief bislang auch alles nach Plan. Warum sollte ich also enttäuscht
sein, wenn ich noch einen Schuss im Rohr habe, den ich ohnehin erst morgen
abzugeben gedachte? Mit diesen Gedanken beruhigte ich mich auf dem
Spaziergang im strahlenden Sonnenschein in die Stadt hinein. Dieses Wetter brauche ich in 24
Stunden, etwa 250 km nordöstlich von hier, dachte ich, regelmäßig in den
Himmel blickend. Die Windrichtung und die Windgeschwindigkeit passten ganz
genau und deckten sich exakt mit meiner Prognose und Recherche. Den
Reiseplänen folgend, kaufte ich meine Mitbringsel und schlenderte
anschließend in das Schwimmbad.
Es war bereits dunkle Nacht, als ich den Eingang des Freibades erreichte. Die
Außentemperatur betrug -1°C, was meine barfüssigen Schritte durch die Kälte zu einem
der vielen Hot-Tubs gehörig beschleunigte. Hier war einiges los und die
zumeist einheimischen Badegäste genossen das reichhaltige Angebot an
Bademöglichkeiten. Das rund 30°C warme Wasser hüllte die ganze Anstalt in
dicke Nebelschwaden, die auch die rote Neonbeleuchtung am Beckenrand nicht
durchdringen konnte. Selbst die eingeschaltete Flutlichtanlage an
der Betondecke der Tribüne erleuchtete die Umgebung nur unzureichend. Wie
mehrere Sonnen waren die starken Scheinwerfer schemenhaft durch den dicken
Dampf auszumachen. Ganz Reykjavik badete folglich im Dunkeln, wobei es
eigentlich zuging wie bei uns. Es gab die zehnjährigen Buben, die sich Bälle zuwarfen. Es
gab die rüstigen Rentner, die fleißig ihren Kilometer schwammen. Es gab
die kleinen Kinder in den seichten Planschbecken und es gab ambitionierte
Schwimmer, die beachtliche Geschwindigkeiten in den perfekt abgesperrten
Bahnen erreichten. Das Ganze wirkte auf mich völlig surreal und für eine
gewohnte Schwimmbad Atmosphäre fehlte einfach das Tageslicht, der Sonnenbrand, die
Liegewiese, die Pommesbude und dieser feine Geruch von Chlor, Frittierfett
und Sonnenmilch. Hier roch es bestenfalls etwas nach Schwefel, aber es
hatte was.
Nach einer anständigen Aufwärmphase in
einem der heißen runden Pools schlenderte ich dampfend durch den Nebel am
Rand des großen Schwimmbeckens entlang.
Plötzlich tauchte mit tapsigen Schritten ein kleines Mädchen von
vielleicht drei Jahren hinter mir aus dem Nebel auf. Ihre Schwimmflügelchen
ließen ihre Arme abstehen und sie watschelte breitbeinig, als ob sie erst
kürzlich noch mit Windel hatte laufen musste. Sie erinnerte mich vollends an
meine eigene Tochter und sogleich verschwand sie "taps, taps, taps" wieder
vor mir im stockdunklen Nebel. Ungläubig rieb ich meine Augen und
schüttelte irritiert den Kopf. Die Kleine war offensichtlich auf dem Weg
zu der großen, langen Rutsche, deren beleuchteter Treppenturm schwach in
einiger Entfernung durch die Schwaden herüber schien. Als ich das
dazu gehörige Becken erreichte, kam sie gerade aus der Röhre geflutscht und
landete mit ausgebreiteten Armen in dem ebenfalls stockdunklen Becken. Das
wollte ich mir auch nicht entgehen lassen und erklomm die eiskalten
Stahl-Treppenstufen der Attraktion. Am Einlass der Rutsche schmerzten
meine Füße vor Kälte und ich fühlte mich im Vergleich zu der Dreijährigen
wie eine Mimose. "Mann, Du jammerst hier über kalte Füße, und die
Kleine freut sich schon den ganzen Tag im Kindergarten darauf" sagte ich in das Rauschen
der Bewässerung zu mir selbst. Die Ampel über der Rutsche schaltete
mehrfach von Rot auf Grün, aber irgendwie wagte ich es nicht, mich in
dieses sackfinstere Sprudelloch zu werfen. Auch draußen war nichts zu
erkennen, und ob das Rohr nach unten in das Becken oder einfach in die
Kanalisation führte, blieb schlicht in Nacht und Nebel verborgen. "Jetzt
stell dich wegen so einem Kinderkram nicht so an", ermahnte ich mich und
wagte es erst zu rutschen, als ich die kleinen bekannten Tapsen wieder unten auf
der Treppe vernahm. Am Ende erzählt die im Kindergarten morgen, dass sich
ein frierender Deutscher vor der Rutsche im Laug gefürchtet hat.
Während der Rutschpartie herrschte die totale Finsternis. Es war nicht
ansatzweise die Hand vor Augen zu erkennen. Man spürte die Bewegung, man
spürte das rauschende Wasser und etwa nach der Hälfte gab es für einige
Meter beleuchtete Ringe in der Außenkontur, die zumindest für wenige
Sekunden Schummerlicht machten. Erst als die Röhre einen
ausspuckte, herrschte wieder das bekannte neblige Zwielicht. Ich fand das so cool,
dass ich mir die Dunkelflutsche mehrmals gab. So ähnlich muss sich ein
verschluckter Kirschkern fühlen.
Bestens gelaunt und ordentlich weich gebadet betrat ich den Umkleideraum,
holte mein Handtuch aus dem Spind und duschte mich ab. Es herrschte ein
richtiges Gedränge und so verlies ich den Nassbereich, um mich am Spind
abzutrocknen. Da sprang der Bademeister, der hier ein Art Wachstuhl hatte,
auf und motzte mich auf isländisch an. Ich hielt inne und wandte mich dem
Mann zu. Er wiederholte seine Worte, die ich auch dieses Mal nicht
verstand. Daher stammelte ich ein vorsichtiges: "I beg your pardon?"
Seine Miene verdunkelte sich darauf merklich (aha, auch noch ein
Ausländer) und er schimpfte: "You need to dry youself before entering the
locker area."
"I did not know that", versuchte ich mich zu verteidigen. "Read the sign",
meinte der Mann und zeigte auf den Fußboden, wo sich tatsächlich ein
mehrsprachiges Schild mit der Aufschrift "Please dry yourself" befand.
Ich bin aber auch echt ein verblödeter Warmbadeaugust, klar dass der sauer
ist.
"You need to read the signs in an islandic swimming pool", fügte der
Bademeister genervt hinzu.
Ich gedachte mich höflich und aufrichtig bei dem Mann zu entschuldigen, schaute
ihm in die Augen und sagte: "I am very sorry about this."
"Ahh, it's OK" meinte er schließlich abwinkend und lächelte wieder. Er
wischte geduldig meine Fußabdrücke auf und ich schämte mich dafür.
Isländische Gelassenheit und Schicksalsfügung trifft auf deutsche
Ignoranz und Dummheit. So umschrieb ich für mich die Situation. Strafe muss
sein und daher verhängte ich mir selbst für den Rest des Abends
striktes Alkoholverbot. |
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4.11.2014
Noch im Schlafsack liegend rief ich die bekannten
Wetterseiten auf meinem Smartphone auf. Mensch, habe ich ganz in der Nähe
nicht schon einmal über die Jugend mit ihren Digi-Gadgets gelästert? Ja,
das war 2011 auf der Tour mit Tobias. Jetzt
machte ich selber damit rum, wenngleich sich das auf
Nachhausetelefonieren und Wetterprüfen beschränkte. Das Wetter im Hochland
sah immer noch gut aus und hatte sich wie erhofft entwickelt. In Reykjavik
und vor dem Fenster herrschte wieder eine geschlossene Wolkendecke, aus der es zeitweise sogar
heftig regnete. Nach dem Frühstück überbrückte ich die Zeit in der Lounge
der Herberge mit ein paar Kapiteln aus meinem neuen Buch. Gegen 11 Uhr
brach ich bei leichtem Nieselregen wieder zu Fuß in Richtung Flughafen
auf. Die
Maschine zum Holuhraun-Feld sollte planmäßig gegen 13:30 starten.
"Scheiß auf das Wetter hier, am Vulkan muss es gut sein", hämmerte ich mir
mehrfach ein. Während des langen Spazierganges wurde ich
gehörig nass geregnet.
"Any good news about the weather?" fragte ich das Mädchen am Schalter. "It
looks OK but we will have to wait for the pilots", sagte sie. Ich nahm vor
dem großen Fenster Platz und bediente mich an der Kaffeebar. Außer mir war
noch kein Passagier zu sehen, was mich richtig wunderte. Schließlich
erschien "Bertrand", ein netter Franzose, der ebenfalls am Vortrag schon
anwesend war und offensichtlich auch eine zweite Chance wollte. Wir unterhielten uns an einem der kleinen, runden Tischchen
sitzend. Inzwischen hatte sich ein Pärchen aus
Tschechien, zwei Amerikanerinnen und ein weiterer junger Amerikaner eingefunden. Nur Bertrand
und ich hatten Kameras dabei, alle anderen verließen sich auf ihre Smartphones.
Wir machten uns ernsthaft Sorgen, dass aufgrund der geringen Besetzung der
Maschine der Flug überhaupt nicht zustande kommen würde. Am Ende sagen
die alles ab, nur weil sie die Kosten nicht decken können, fürchteten wir.
"Only 7 passengers for 18 seats", teilte ich Bertrand den Zählerstand
der Passagierliste mit, die offen auf dem Tisch auslag. Er machte eine
zweifelnde Geste und meinte: "Let's hope for the best." "I really want to
see the eruption", sagte er nachdrücklich. Ich nickte nur: "Me too."
In diesen Augenblick der allgemeinen Unentspanntheit platzten die
Fluggäste aus einem anderen Flug herein, der soeben gelandet war. Schwer beschuht
und beladen mit allerlei Ausrüstungsgegenständen betraten ungefähr sechs
Personen den kleinen Empfangsraum. Von unseren Tischen aus musterten wir die
Gruppe neugierig. Offensichtlich handelte es sich um Geologen oder
Fotografen oder beides. Es waren durchweg junge Leute und sie alle rochen
nach Uni und nach Bardarbunga. Um die letzten Zweifel auszuräumen,
legten sie demonstrativ ihre gebrauchten Atemschutzmasken ganz
oben auf den Stapel aus Kisten und Stativen. Sie
hätten auch laut "Ätsch, wir waren da", im Chor rufen können. Zumindest
würde das in meinem Fall die selben Empfindungen hervorrufen. Wieder
spielten wir Normalos die zweite Geige, wieder wurden wir
"Einfachverbraucher" genötigt, uns mit Unterwürfigkeit abzufinden und
wieder durften wir Dinge nicht, die andere einfach dürfen. Aber sei es
drum, mein Eisen lag noch im Feuer, meine höchste Karte war noch nicht
gespielt und ganz im Ernst, mich interessierte vor allem was in den
nächsten Minuten mit uns passieren würde.
"Come on, we are all waiting for the good news" sprach ich die junge Dame
am Schalter ungeduldig an. Die frisch eingetroffene Gruppe hatte das Gebäude
inzwischen wieder verlassen. Das Mädchen reagierte überrascht und entschuldigend und ich
bereute meine offensichtliche Ungeduld ihr gegenüber. "There are no bad
news", antwortete sie verschmitzt. "We do have to wait for the statement of
the pilots", ermahnte sie mich. Natürlich, das sollte ich eigentlich
auch wissen
und reumütig nahm ich wieder neben Bertrand Platz und ärgerte mich über
mich selbst. Endlich erschienen die beiden Piloten und, wie ihre
Vorgänger vom Montag, verschwanden die zwei jungen Kerle sogleich wieder in dem
Flugvorbereitungsraum. "They are propably doing their weather-briefing
right now", mutmaßte ich wieder und der Franzose nickte zustimmend. Die Luft war zum
Schneiden dick und die Anspannung lies die Stimmung förmlich knistern. Bertrand kaute nervös an seinen Fingernägeln und wippte
mit dem Fuß. Ich kaute auf meiner Lippe herum und eine der Amerikanerinnen
rannte ständig hin und her. Die Tschechen ließen sich mit verschränkten
Armen jeweils von den Fersen auf die Fußspitzen fallen. Jedes Öffnen der
Tür zum Pilotenzimmer wurde mit sieben blitzschnell neu gerichteten
Blicken und einem darauf folgenden siebenstimmigen, internationalen Seufzer
kommentiert. "I wonder what is taking them so long", machte ich meinen
Bedenken nach weiteren 20 Minuten Luft. "Maybe they are not sure", meinte
Bertrand. "Are they going to fly, are we going to see the damn thing?", warf
der Amerikaner ein. Die allgemeine Anspannung fing gerade an, sich negativ
auf die Stimmung auszuwirken, da schallte ein kurzes: "All passenger
of
the Sightseeing-Flight need to go out to the plane" durch den Raum. Wie die Feuerwerksraketen
schossen wir aus unseren Sitzen hoch und stürmten auf das Vorfeld. In
Rekordzeit waren alle in der kleinen Jetstream verschwunden.
In meiner Wehrdienstzeit war ich mal Fallschirmjäger bei der Bundeswehr und da
übten wir ständig das rasche Besetzten von Luftfahrtzeugen mit vielen
Personen. Ich bin mir sehr sicher, an jenem Dienstag in Island waren
wir schneller, auch ohne brüllenden Feldwebel.
Die Gäste machten dennoch einen entscheidenden Fehler. Sie setzten sich
hinter den Flügel, um eine vermeintlich bessere Bodensicht so erhalten. Das
ist jedoch ein Trugschluss, denn wenn das Flugzeug ein Ereignis am Boden
umfliegt, befindet sich der Flügel aufgrund der Kurvenlage ohnehin
außerhalb des relevanten Blickfeldes. Daher ist der beste Platz möglichst
vorne und nahe am Cockpit. So erhält man unter Umständen den einen oder
anderen Blick in Flugrichtung oder kann stets auf die dem Ereignis
zugewandte Seite wechseln, da man erfährt, wie der Pilot vorbei fliegt.
"Come on up front. You will have the best view from here", forderte
ich Bertrand auf. Aber der blieb ungläubig in der letzten Reihe sitzen und
winkte ab.
"Jawohl, ja" kommentierte, ich das Anlaufen der ersten Turbine für mich und
ohne dass es jemand hören konnte. Mit dieser geringen Besetzung, Beladung
und Betankung schoss unsere Nordatlantik-Frachthure über die Runway und
steil durch die geschlossene Wolkendecke. Total geil, zwei mal 1000 PS bei
der Arbeit. Wenn einem Ferrari bei 300 km/h die Puste ausgeht, dann
kriegt so eine Turbine erst richtig Luft. Dieser Flieger war mir sofort sympathisch,
weil er in dem gleichen ultramarinblau lackiert war, wie mein Eigener.
Er war gebraucht, verranzt, verdallert und hatte Patina. Weil aber
Luftfahrttechnik schon im Voraus "gescheit" gebaut ist, geht trotzdem
nichts kaputt. Da gibt es eben keinen Plastikmüll, wie bei den Autos, der
einfach wegbröselt oder zerknibbelt. In jedem einzelnen Niet steckt der
Alltag, die Schwere und der Verdruss der englischen Arbeiterklasse,
verewigt und eingefroren durch Kaltverformung hochwertiger
Aluminiumlegierungen. Diese von Hand geschlagenen Zeugnisse ehrlicher
Arbeit sind mit den toten und digital platzierten Schweißpunkten der
Roboter aus der modernen Autoindustrie nicht zu vergleichen.
Metallflugzeuge haben
greifbaren Charme und meine Luftfahrt Euphorie tat ihr übriges. Und da waren
dann auch noch
diese herrlichen verchromten Spinner... schmacht.
Der Flug verlief zunächst über dicke Wolken, und der Gedanke, nun doch
schlechtes Wetter vor Ort zu haben, wurde sogleich verdrängt. Endlich
öffnete sich genau auf Kurs der Overcast und wir holten das gute Wetter
von gestern wieder ein. Meine Einschätzung hatte also genau gestimmt und das sonore
Brummen der Triebwerke wirkte wie der Trommelwirbel beim Öffnen eines
Zirkusvorhangs. Dieses
ganze Unternehmen baute auf genau diese Wetterlage, zu diesem Zeitpunkt
und an dieser Stelle. Es hatte geklappt und ich hatte recht behalten. Der Fieg war mein, mein war der Fieg und dankbar ließ ich das grelle
Sonnenlicht, welches nun von dem schneeweißen Boden reflektiert wurde, in
mein Gesicht fallen. Tatsächlich ist dieser glückliche Umstand das
Ergebnis eines Spiels, welches einer Pokerpartie am nächsten kommt. Dabei
gilt es, das System zu verstehen, ein gewisser Einsatz ist von Nöten, und,
machen wir uns nichts vor, es bleibt auch eine große Portion Glück
involviert. Nichtsdestotrotz entwickelte sich gerade alles zum Besten.
Aus der grell weißen Eiswüste tauchte schließlich die Askja und der
Herðubreið auf. Sie erschienen zum Greifen nahe, denn
die Fernsicht war geradezu märchen- saga- fabelhaft. Solche Bedingungen herrschen nur in
dünner, extrem trockener und kalter Luft, wie sie hier zweifelsfrei
vorlag.
Ich stand von meinem Sitz auf und betrat das Cockpit. Damit wollte ich vor
allem die
Reaktion der beiden Piloten ein wenig austesten. Sie hätten mich
selbstverständlich auf meinen Platz verweisen können, taten dies aber
nicht. Da kommt es eben darauf an wie die drauf sind. Der Mann auf dem
linken Sitz mochte vielleicht 30 Jahre alt sein. Der Co war wohl noch etwas jünger. Der Flugzeugführer bemerkte mich und nahm die rechte Muschel seines Headsets von seinem Ohr, um
mich zu verstehen, falls ich beabsichtigen würde, mit ihm zu sprechen. Mit
Genugtuung realisierte ich eine Reisegeschwindigkeit jenseits der 200
Knoten.
"Vulcano ahead", meinte er und wies mit der Hand direkt voraus. "Wow,
that is a beautiful sight, even for you guys, isn't it?" rief ich in sein
Ohr. Er nickte nur entspannt. Ohne am Leistungshebel Veränderungen
vorzunehmen ging er in einen leichten Sinkflug über. Der Fahrtmesser
näherte sich der dynamischen, rot-weißen VMO-Markierung. Die Wolke, die
von dem Vulkan ausging, bestätigte eindeutig den Südwest. Nun war ich aber der einzige Passagier, der die gute
Aussicht genoss und als Vordrängler kennt mich hier keiner. Daher winkte ich
Bertrand und die anderen nach vorne. Wir wechselten uns ab und jeder bekam
die Möglichkeit folgendes Foto zu machen. |
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Die Crew suchte den
Luftraum nach möglichen weiteren Maschinen ab, aber außer einer einzelnen
Cessna, die sehr hoch flog, war nichts zu sehen. Der Pilot ging tiefer und
hielt die Geschwindigkeit am Anschlag, zweifelsfrei eine Sicherheitsmaßnahme in diesem
Terrain. Ich stand wieder ganz vorne und hielt mich mit einer Hand am
Schultergurtbeschlag des Piloten fest. In der freien Hand hielt ich die Kamera.
Mit 220 Knoten nagelten wir auf diese Rauch-, Dampf- und Gassäule zu,
die einsam alles in dieser grandiosen Eiswüste überragte. Der Pilot
steuerte
das Flugzeug locker mit der linken Hand. Mit der rechten Hand bediente er nur das
Trimmrad. Er legte die Jetstream in einen steilen Decent-Turn mit perfekt
senkrechtem Scheinlot, was es mir ermöglichte, trotz rollendem Horizont
aufrecht stehen zu bleiben. Dies ist ein nicht ganz einfaches Manöver, was
einiges an fliegerischem Geschick erfordert und es dem Luftfahrzeug
ermöglicht, kurzzeitig steilere Querlagen zu halten, als es der Flugvektor
hergeben würde. Er holte etwas aus, und wir passierten den Vulkan das erste
Mal. Er vermied es natürlich, auf der
Leeseite durch die Gaswolke zu fliegen. Trotzdem wurde das Flugzeug
plötzlich von einem heftigen Stoß geschüttelt. Wir hatten vermutlich die
Heißluftzone der Lava und die damit verbundene vertikale Thermik durchflogen. Die
Piloten schauten sich umgehend und wohl ein wenig überrascht an. Ich
wippte den "Bump" mit einfedernden Knien aus, wobei ich immer noch den
Shoulderstrap des Kapitäns in der Hand hielt. Er stellte befriedigt
fest, dass ich noch auf den Beinen stand. "Riding the the Vulcano",
kommentierte ich das Geschehene. Der Steuernde lachte, nickte mir zu und
schaute wieder nach vorne. |
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Von nun an schossen wir
mit anständig Querneigung und tief auf der Luvseite der langen, dampfenden Spalte
vorbei. Anschließend kletterte die Turboprop nach einer Viertelrolle in die andere Richtung
steil nach oben, um Höhe für den nächsten Run zu gewinnen. Geradezu
perfekt konnten
wir auch die orange, wabernde Suppe im inneren der Spalte
sehen. Ein Anblick, den ich nie vergessen werde. Die gewaltige
Aufwärtsbewegung der ausgestoßenen Masse wühlte die Oberfläche der Brühe
in riesenhaften dynamischen Blasen auf, die, wenn sie im Moment der
höchsten Erhebung zu verharren schienen, ein "Leopardenmuster"
bekamen, um kurz darauf wieder in sich zusammenzufallen. An einigen Stellen
spritzte die Lava einfach senkrecht und glühend in den Himmel und
prasselte
klatschend auf den Kraterrand oder einfach in den Höllenfluss selbst
zurück. Das Magma floss unheimlich schnell, bildete Wirbel, Vertiefungen
und ergoss sich durch einen einzigen großen Abfluss in die schier
endlose, schwarze Ebene. Das Raunen und Seufzen der sieben glücklichen
Zuschauer übertönte das Rauschen und Dröhnen des Flugzeugs bei weitem. Ich
wollte meinen Platz in der ersten Reihe einem anderen Passagier anbieten,
doch meine Reisegenossen hatte allesamt die Übelkeit gepackt. Die
Amerikanerin war kreidebleich und ihre Freundin hatte die Augen
geschlossen, den Kopf in den Nacken gelegt und kaute aufgeregt auf ihren Travel-Sickness-Kaugummis. Selbst Bertrand hielt sich den Magen und die beiden
Tschechen machten dicke Backen. Ich reichte der Amerikanerin eine Plastiktüte mit
den Worten: "Make sure it's ready when you need it." Sie nahm es dankbar an
und hielt sich den aufgefalteten Beutel unter den Mund. |
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Ich hingegen geriet in
einen Zustand der Totalverzückung. Hier befand ich mich, stehend in einer
220 Knoten Achterbahn, vor der mit Sicherheit spektakulärsten Kulisse auf
unserem gesamten Erdball. Für mich als Kunstflieger, Naturliebhaber und Island-Fan
eine nur schwer zu kontrollierende Reizüberflutung. Hier erlebte ich
stehend die
totale Physik einer rasanten, dreidimensionalen Bewegung, zusammen mit der
intensivsten und ursprünglichsten Schöpfungsgewalt unseres Planeten, eingebettet in
eine friedliche und einsame Welt aus Schnee und Eis. Diese grellen,
leuchtenden, orangefarbenen Flammen inmitten
der gleißend weißen und schier endlosen Wüste unter dem stahlblauen Himmel
waren einfach zu viel für mich. Der Emotions-Geysir in mir brach aus und
zwei dicke Tränen rollten aus den ohnehin schon feuchten Augen über
meine Backen und landeten genau unter mir auf der Antirutschbeschichtung
des Duralfussbodens. Ein
weiteres Indiz für den vollendeten Flugstil des Isländers. Dies war mit
Abstand das Abgefahrenste, was ich in meinem ganzen Leben im Zusammenhang mit Natur,
Island und Fliegerei jemals erleben durfte. |
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"Ladys and Gentlemen,
we will make one final pass until we head home to Reykjavik", meldete der
Copilot über Lautsprecher und nach etwa 20 Minuten des Rollens und Jagens,
des Brodelns und Strahlens zeigte die Nase wieder Richtung oben und
Heimat. Die Gäste begannen sich zu erholen und ich verschnaufte
schweißnass in meinem Sitz. Wenn sich die Crew jetzt nach meinem
Wohlbefinden erkundigt hätte, würde ich ihnen
vermutlich eine überraschende Antwort geben. Meine Backen hatten einen
ausgewachsenen Grinsekrampf und ich stellte erleichtert fest, mich nicht
auch noch eingepisst zu haben. Der Rückflug verlief ruhig, die Wolkendecke
war nur wenige Kilometer von der Ausbruchstelle entfernt wieder geschlossen, und wir
durchstießen sie erst wieder kurz vor der Landung. Mit dem
Abstellen der Turbinen schlug den Piloten ein Jubeln, Klatschen und
Trampeln entgegen, dass sie beide lächeln und dankbar nicken ließ. "Excellent
flying" kommentierte ich applaudierend. Von dem Flug gibt es noch ein
kurzes Video, was erscheint, wenn man auf das letzte Bild klickt.
Das nächste, an was ich mich erinnere, war das Zusammentreffen mit Bertrand, der
ebenfalls schwer gezeichnet und ganz offensichtlich gerührt in der
Empfangshalle stand. Er hatte eine Hand zur Faust geballt und rief: "Yes, yes, yes." Ich
gesellte mich zu ihm und wir beglückwünschten uns gegenseitig. "There
is nothing to say, is there?" fragte ich Ihn. "No, I am afraid there
is not, Amazing is not enough", antwortete er und
zitterte, wie ich, am ganzen Körper. Die junge Empfangsdame hinter dem
Schalter wurde auf uns aufmerksam und fragte verwundert. "Did you enjoy
the flight?"
"Oh my god, absolutely", antwortete ich und Bertrand entgegnete: "The most
spectacular thing I have ever seen."
"Have you ever seen it yourself?" fragte ich sie zurück. Ein entschuldigendes und
bedauerndes "No, never" holte mich ein wenig auf den Teppich zurück. "But
you are working here", warf ich ein. Sie zuckte nur mit den Schultern. Das
ist schon etwas unfair. Da kommen die Touristen um die Ecke und ergötzen
sich an Naturereignissen, die die Isländer selbst nicht sehen, wohl aber
spüren, sollte sich die Lage verschlimmern. Ich ging vor die Tür und
beschloss, meine letzte Zigarette zu rauchen. Post-koit... ähh
post-eruptional sozusagen. Klar rauche ich, unser Planet raucht ja auch.
Der Rückweg durch die friedliche, kühle und inzwischen dunkle Parkanlage
unterhalb des Perlan war notwendig, um weiter runter zu kommen. Ich rief Ulli
an und berichtete aufgeregt, da ich gerne solche Ereignisse
teile. Plötzlich wurde mir klar, dass ich meine Mädchen entsetzlich vermisste.
Hier oben, am kalten Ende Europas fühlte ich mich auf einmal verlassen und
weit, weit weg. Jetzt wollte
ich nur noch so schnell wie möglich wieder heim. Ich beschloss, im Laug die
totale Entspannung zu erzwingen und gedachte, mich bis an den Anschlag
durchzuweichen. Ich schwamm 1,5 Stunden lang Bahnen, rutschte Kirschkernröhre und
verbrachte eine weitere Stunde in dem 42°C heißen Hot-Pot. Am Ende schloss ich mit drei
Dampfbadgängen ab. Der letzte bescherte mir gehörig Nasenbluten. Dieses Mal
gab es auch keine Versäumnisse mehr beim Abtrocknen und der Bademeister,
der mich natürlich kritisch beobachtete, gab mir "Thumbs up", als ich
ultratrocken den Duschraum verließ.
Völlig dehydriert schluckte ich eine Riesenmenge Wasser und knallte
dann waagrecht auf die Matratze. |
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5.11.2014
Leider ergatterte ich trotz der totalen Erschöpfung
nur eine einzige Stunde Schlaf, was zumindest das Aufstehen um 4 Uhr
erleichterte. Mein Kopf war einfach zu voll für eine anständige Nachtruhe. Ich hatte mich auf die Liste, die in jeder Unterkunft in
Reykjavik ausliegt, für den Bus-Service angemeldet, und der Busfahrer erschien
pünktlich um 4:30 Uhr, um mich aufzunehmen. Das erspart das Umsteigen, das
Taxi oder einen langen Fußmarsch. Unter dem Strich ist dies ein geniales und
praktisches System. Das Check-in in Keflavik verlief flott und problemlos.
Sämtliche
Isländer nutzten nur noch ihre Smartphones mit Strichcode als
Boarding-Karte.
Ich war der einzige, der sich am Self-Check-In Terminal so einen
steinzeitlichen Papierzettel hatte ausdrucken lassen. Die Maschine nach
Frankfurt war maximal halbvoll und obwohl ich eine ganze Sitzreihe zur
Verfügung hatte, konnte ich nicht pennen. Völlig geschafft schloss mich
Ulli gute drei Stunden später in die Arme. Wieder war ein sehr intensiver
Islandurlaub zu Ende. |
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