Auf die erste Seite des Morgunbladid oder auf die letzte Seite des Darmstädter Echos?

 

Von Thomas Lukasczyk

 

Als am 21 März des Jahres 2010 der Vulkan Fimmvörðuhàls in Südisland ausbrach, kannte ich als leidenschaftlicher Islandfan nur ein Ziel. Da musst Du hin und einmal aus der Nähe erleben, wie die Naturgewalten mit allen Elementen spielen und die unbändige Kraft, die in der Erde Islands schlummert, ans Tageslicht tritt. Im Netz gab es erste Fotos von der Eruption, mit hunderten von Touristen im Hintergrund. Man konnte offensichtlich nahe an den Ort des Geschehens und Angesichts der  vielen tollen Bilder beschloss ich einen Versuch. Natürlich konnte ich auch meinen langjährigen Freund und Outdoor-Kameraden Tobias für eine kurzfristige Islandreise im April motivieren. Ich ignorierte die Tatsache, dass der Ausbruch dem Ende Zuging und das Wetter schlecht aussah. Das ist vielleicht die letzte Chance im Leben so etwas zu sehen redete ich mir ein.

Mir ist durchaus klar, was Nordatlantische Tiefs im Frühling anrichten und die Wetterverhältnisse auf der Insel kenne ich durch mehrere und auch längere Aufenthalte auf der Insel ganz gut. Dazu ist das Ausbruchsgebiet gut zu erreichen und durch einen der bekanntesten Wanderwege Islands ausgezeichnet erschlossen. Den Laugavegur von Þórsmörk nach Skógar sind wir beide schon in beiden Richtungen gelaufen, jeweils binnen eines Vormittags. In regelmäßigen Abständen ist dieser durch gelbe Pfähle gekennzeichnet und der untere Teil bis zu der erwarteten Schneegrenze verläuft entlang eines kleinen Flusses, der sich durch einen tiefen Einschnitt schlängelt. Auch bei schlechter Sicht sind die gelben Stickel ausreichend dicht gestellt, um das Tal vom Pass aus zu finden. Für den Aufstieg mit 15 kg Gepäck bis zur Fimmvörðuhàls-Hütte brauchten wir vor einigen Jahren knapp 2,5 Stunden. Wieder hinunter zum Wasserfall weniger als 2. Dabei sei mir die Bemerkung gestattet, dass ich intensiv Laufsport betreibe und gezielt trainiere.

Ohne sportlerische Überheblichkeit halte ich mich für körperlich dem Ganzen gewachsen. Das Lebensalter von 35 Jahren und  20 Jahre Trekking- und Berg Erfahrung haben mich gelehrt, dass die Natur stets die höchste Karte im Spiel hat und Männer, mich selbstverständlich eingeschlossen, zur Selbstüberschätzung neigen und intensiver Zügelung bedürfen.

In Island ist besonders zu dieser Zeit mit extremsten Wetterverhältnissen zu rechnen und dementsprechend zu planen.

Sollte das Wetter erwartungsgemäß schlecht ausfallen, wollten wir in einer der Schutzhütten am Pass auf gutes Wetter warten und so den täglichen Strömen der Vulkantouristen im Falle einer Wetterbesserung einen Schritt voraus sein. Einfach eine Stunde vor den ganzen Charterjeeps Sprudellava gucken und schöne Fotos machen. Selbst bei schlechten Bedingungen sind wir Ruck-Zuck wieder unten. Vermutlich müssen wir uns aber mit anderen Leuten auf dem Pfad und in den Hütten drängeln, war die Befürchtung.

Im Vergleich zu vorangegangen Touren war das eine recht entspannte und kurze Sache und daher blieb auch mein GPS da, wo er nichts nützt, nämlich daheim. Bei Icelandair buchte ich zwei Flüge mit vier Tagen Aufenthalt in Island.

Als wir eine Woche später mit dem Mietwagen die Ringstrasse nach Skógar fuhren, wehte ein steifer Südost und die Scheibenwischer liefen die ganze Fahrt auch der höchsten Stufe. Die kleinen Wasserfälle an der Steilküste erreichten nicht mehr den Boden und endeten auf halbem Weg. Na Mahlzeit, das kann ja was werden auf dem Pass. Der Wetterbericht gab Sturmwarnung für die nächsten Tage. "Dann haben wir oben wenigstens unsere Ruhe" meinte Tobias.

Am 09.04.2010 um 12 Uhr stiegen wir mit Essen für drei Tage, Regenzeug, Schlafsack, Isomatten, Benzinkocher, Steigeisen und Winterausrüstung den Weg am Wasserfall hinauf. Wir wollten eine Nacht auf einer der Hütten verbringen und dann wieder absteigen. Es goss wie aus Eimern und der Wind verteilte Ohrfeigen. Die Sicht war aber gut und die Temperatur lag über Null. Nach 2 Stunden erreichten wir die Schneegrenze. Die Sicht betrug mehr als 1 km und der Niederschlag war immer noch flüssig. Um drei Uhr passierten wir die Baldvinsskàli-Schutzhütte und stellten fest, dass der Pass wohl nicht zu machen ist. Zwischen der Baldvinsskàli-Hütte und dem Fimmvörðuhàls-Pass befindet sich noch eine recht steile Kante, die gänzlich im Dreck verschwand. Der Wind war aufgrund der Höhe und des Wetterumschwungs zu einem ausgewachsenen Sturm angeschwollen und wir hielten uns kaum auf den Beinen. Dazu wusste ich durch mein reges Interesse an dem Ausbruch, dass sich auch ein Lavastrom auf der Meerseite des Passes befindet und angesichts der schwindenden Sichtverhältnisse waren wir vorsichtig.

Die Markierungen verschwanden in der etwa 2 Meter hohen Schneedecke und nur wenige schauten noch heraus. Wir wollten uns auch nur etwa 15min von der Baldvinsskàli-Hütte entfernen, da wir befürchteten, dass Schneefall und Sichtverlust plötzlich einsetzen könnten und dann der Rückweg durch die Schneespuren nicht mehr zu finden ist. Ich bereute aufrichtig die Entscheidung, das GPS nicht eingepackt zu haben. Unser Bewegungsradius war dadurch sehr eingeschränkt. Zum Glück waren unsere Tapsen toll zu sehen, da das ganze Gelände unter einer feinen, schwarzen Ascheschicht lag. Bei diesem Wetter trotzdem ein echtes Problem mit dem nicht zu spaßen ist. Als ich den ersten Eisklumpen auf den Buckel geschossen bekam tat sich vor uns das in den Schnee geschmolzene Lavafeld auf und wir konnten den Mund vor Staunen nicht mehr zumachen. Jetzt tickte aber die Uhr. Da aufgrund des Sturmes und des Eisgeprassels kein Gespräch möglich war, deutete ich nach nur wenigen Minuten auf mein Handgelenk und wies in Richtung Baldvinsskàli. Tobias nickte und wir drehten um, obwohl wir uns nur sehr kurz am Ziel befanden. Die Sicht wurde schlechter und heftiger Hagel mit Orkan setzte ein. Auf einer ungeschützten Stelle schafften wir es auch dicht hintereinander und ganz gebückt nicht gegen den Wind anzulaufen. Ich ging auf die Knie und wartete die Böe ab. Das ist mehr als Windstärke12 brüllte mir mein Begleiter unter die Kapuze. Die Spuren waren, weil frisch noch gut zu sehen und nach 10 min Kampf gegen den Eishagel machten wir die Tür der Schutzhütte hinter uns zu und sperrten das Sauwetter aus. Wir fühlten uns in unserem Element, da wir schon einige Schlechtwetterlagen in Schutzhütten auf Island verbracht hatten und verfielen in unseren Ablauf. Erstmal die Bude peilen und Klarschiff machen. Wir verpennten in den Anden, in Schottland, in den Alpen und natürlich auf Island schon diverse Nächte und Stürme in schimmligen Verschlägen und waren bester Laune und dabei, es uns gemütlich zu machen. Die dreieckige Hütte hatte eine elektrische Beleuchtung, die natürlich nicht funktionierte. Die Anlage wird von einer Autobatterie gespeist und von einer Solarzelle auf dem Dach geladen. Die ganze Verkabelung war völlig vergammelt. Zudem gab es ein UKW-Notfunkgerät. Tobias fegte durch und ich sammelte sage und schreibe, drei große Müllsäcke  voller Pet-Flaschen und sonstigen Trekkingabfall ein und verstaute alles im Flur. Im Obergeschoss hatte sogar einer eine Stange Lehm aus dem Rückgrad geschoben, völlig hemmungslos mitten in den Raum. Zum Glück war die Temperatur unter Null, was die vollständige Entsorgung erleichterte. Wir hängten unsere Sachen auf, bauten die Betten und stellten uns auf einen urgemütlichen Abend bei Windgeheul und Tütennudeln mit heißem Tee ein. Diese Zwangspause war herrlich und wir genossen die kühle Abwesenheit der Zivilisation. Bei einsetzender Dunkelheit gegen 21 Uhr kamen noch drei Superjeeps der Bergwacht vorbeigeschraddelwalzt, umfuhren die Hütte und verschwanden im Whiteout. Zum Glück, die Harmonie blieb ungestört. Die checken vermutlich regelmäßig die Bedingungen am Vulkan mutmaßten wir.

In der Nacht wurde der Wind so heftig, dass Pinkeln im Freien unmöglich war, selbst im Wetterschatten der Hütte. Ich schlief prima und als wir am

10.04.2010 feststellten, dass das schlechte Wetter noch hält, schauten wir etwas enttäuscht in Richtung Kameraausrüstung. Wir beschlossen gegen Mittag einen Abstiegsversuch gegen den Wind. Ist ja nicht weit unter das Wetter und unterhalb der Schneegrenze ist es ein Kinderspiel. Schließlich galt es, am Abend in Reykjavik zu sein um am nächsten Morgen den Flieger zu kriegen. Die kurze Distanz war verlockend, dennoch verfluchte ich die Tatsache kein GPS dabei zu haben. Da der Niederschlag wieder flüssig war, beschlossen wir uns max.15min hinunter zu quälen. Sollte Plötzlich Schneefall einsetzen nichts wie den Stapfen nach zurück zur Hütte. Wenn man sich in solch einer Situation verläuft, überlebt man die Nacht nicht. Bei diesem Wind vermutlich nicht mal den Nachmittag. Unter dieser Anstrengung war es unmöglich länger dem Wetter ausgesetzt zu bleiben. Allen Vorsätzen und aller Einbildung zum Trotz schwinden einem während man umherirrt die Kräfte und die Uhr tickt. Ich verfüge dabei leider über einige Erfahrung und weiß, dass man so etwas leicht unterschätzt. Ich bin derzeit topfit, gehe das ganze Jahr über im Odenwald laufen und meine Sonntagsrunde von 29 km mit etwa 500 m Profil schaffe ich an einem guten Tag in zwei Stunden. Der Sturm hat aber im Zweifelfalle den längeren Atem und bei knapp 10 m Sicht in den ausgedehnten Schneefeldern bleibt kein Spielraum.

Eigentlich sind die Chancen, runter zu kommen nicht schlecht, da sich links und rechts ein Fluss befindet. Die Oberläufe waren aber nur noch schwach unter der Schneedecke auszumachen und daher auch gefährlich. Es war sehr verlockend kurz die Zähne zusammen zu beißen und unter das Wetter durchzubrechen. Gerade nach Süden runter und sich nicht verlieren. Auf dem Weg nach unten geht es über mehrere kleine Buckel und ich merkte neben mir, das Tobias auf den Höhen extreme Mühe hatte gegen die Sturm voranzukommen. Er wiegt 20kg weniger als ich und hatte beim Gehen den Oberkörper ganz nach vorne gelehnt. Der Orkan schmiss Ihn tüchtig durch die Gegend. Die Spuren zurück waren gut sichtbar und es peitschte der Eisregen, dass die Zurrbänder senkrecht von Rucksack abstanden und flatterten. In den Falten unserer Kleidung sammelte sich das Eis. Die Sicht betrug teils weniger als 10m und wir machten eine tiefe Spur in den grauschwarzen Schnee. Nach 15min und urplötzlich einsetzendem Schneefall deutete ich wieder auf meine Uhr. Tobias schloss zu mir auf und brüllte mir ins Ohr: "Du willst wohl unbedingt auf die letzte Seite des Darmstädter Echos?"  Darauf ich: "Das steht bei uns auf der Seite in der Mitte". Ich musste an den Song:  "My blood runs cold, my memory has just been sold, angel in the centerfold, ill be an angel in the centerfold"  denken. Tobias bewegte die Handfläche parallel zum Boden hin und her und wies mit einer Kopfbewegung nach oben zurück. Es war so einfach zu gefährlich und wir kehrten um. Auch wenn wir uns vermutlich auf dem richtigen Weg befanden. Mit dem Wind erreichten wir Baldvinsskàli in Null Komma nichts und machten tropfnass und eis-gestrahlt die Tür hinter uns zu. "Das hält man keine Stunde durch. Einmal verlaufen und du bist im Arsch" sagte ich als wir uns die nassen und gefrorenen Sachen auszogen. Dann eben noch eine Nacht in der Hütte. Wir kochten Tee, aßen Tütennudeln, Vitamintabletten und tranken heiße Brühe. Tobias amüsierte sich über die Steine, die der Wind unter dem Fenster der Hütte über den Boden kullerte. Die Drahtseile, mit denen die Bude im Fels verankert war, surrten unter den stärksten Windstößen wie Gitarrensaiten. Falls die Superjeeps heute wieder vorbeikommen, machen wir uns bemerkbar, um rechtzeitig zurückzukommen. Für alle Fälle steckte ich eine Schaufel in die Fahrspur und befestigte daran eine kleine Plastiktüte als Zeichen unserer Anwesenheit. Diesen Abend kam aber niemand vorbei und wir ärgerten uns, nun den Rückflug nicht mehr zu erreichen.

In der Nacht setzte heftigster Orkan ein und die Temperatur fiel um mehrere Grad. Die Wetterseite der Hütte befand sich nun unter einem zentimeterdicken Eispanzer. Es zog auch nicht mehr, da der Schnee die Ritzen dichtete. An sich eine gemütliche Sache und bei heißen Chinanudeln aus der Tasse sogar angenehm. Allerdings war das nun der Zeitpunkt, wo die Kohlehydrate ausgingen. Von nun an nur noch Suppe und Tee. Tobias und ich waren schon häufig in solchen Situationen und die angehende Essensknappheit drückte nur wenig auf unsere Stimmung. In Chile hungerten wir mal eine Woche und ich wusste, was mir unter Umständen bevorsteht. Das fühlt sich an wie eine ungedrehte Flasche voller Wasser, mit einem winzigem Loch im Verschluss aus dem ein dünner Strahl rinnt. Das Wasser stellt dabei die im Körper vorhandene Lebensenergie dar. Zuerst stört einen nur das Hungergefühl. Nach vier Tagen wird man schwach und verliert Ausdauer. Erst nach einer Woche wird es hässlich und man kann sich nur noch wenige Stunden am Tag auf den Beinen halten. Das ist der Punkt, wenn das Wasserniveau den Flaschenhals erreicht. Die Tatsache, dass angesichts der Gefangenschaft kein absehbarer Ausweg besteht verleit der Sache einen unmittelbaren Charakter. Das ist nicht einfach zu beschreiben aber eine intensive Erfahrung. Tobias und ich kannten das aber und scherzten noch: Ich muss sowieso wieder 5 Kilo abnehmen, wenn ich die 10km noch einmal unter 38 min laufen will. Mit dem Temperatursturz drehte der Wind auch mehr auf Südwest, was Frontdurchlauf und Wetteränderung verspricht. Dazu brauchen wir nur eine Stunde Wetterfenster in den nächsten Tagen für einen einfachen und kurzen Abstieg. Ich empfand die Wetterlage als wenig bedrohlich und rechnete uns allerhöchste Chancen aus. In dieser Nacht wankte die dreieckige Bude zeitweise heftig und wir fragten uns ob es sich um ein Erdbeben oder eine besonders starke Böe handelte. Das Gebälk knarrte und ächzte unter der Last. Schauriges Gefühl, in unmittelbarer Nähe eines aktiven Vulkans gefangen zu sein und davon wegen des Wetters nichts mitzukriegen.

Soviel zu meinem persönlichen Gemütszustand. Die ganze Zeit musste ich aber an Ulli denken, die sich natürlich angesichts unserer Überfälligkeit große Sorgen machen wird. Ich ignorantes und egoistisches Riesenarschloch muss auch hier hinauf laufen und für einen Islandtrip nur 4 Tage einplanen, wobei ich bei jeder voran gegangenen Islandreise länger in Schutzhütten festsaß. Wie einst im Juni 2003 in der Bræðrafell-Hütte hinter der Herðubreið.

Ein Anruf und Ulli wäre informiert und ich könnte die Sache in Ruhe durchstehen. Handyempfang gab es aber nicht. In dieser Nacht sah ich in Gedanken immer wieder das rothaarige Mädchen am Arrival-Gate in Frankfurt, dass auf den durchgeknallten Typen mit dem großen grünen Rucksack wartet. Nachdem alle anderen Fluggäste weggegangen sind, steht es mit weit geöffneten Augen und herabhängenden Armen alleine auf dem glatten Granitboden und starrt mit feuchten Augen in die Richtung aus der Ihr Thomas kommen muss. Nach einigen Augenblicken der Rat- und Fassungslosigkeit rollt eine einzige dicke Träne über ihr bleiches Bäckchen, da sie sich daran erinnert, ihn vor einigen Tagen in ein Gefahrengebiet verabschiedet zu haben. Im Internet wurde zudem Schneesturm gemeldet. Aus Sorge beginnt sie zu frösteln und zu zweifeln und überprüft noch einmal die Flugnummer auf dem Notizzettel, der seine Handschrift trägt. Leise weinend wendet sie sich ab und fährt langsamer als sonst nach Hause. Dieser Gedanke zerriss mir das Herz und ich betete darum, doch die Sorgen und Angst auf mich zu übertragen. Schließlich lag ich im warmen Schlafsack und hatte gerade mehr dehydrierten Tütenfraß aus Aluminiumgeschirr gegessen als ich wollte. Ich hatte nur keine Möglichkeit, Ulli mitzuteilen, dass es mir gut geht und ich noch keine großen Probleme habe.

Spätestens nach zwei Tagen wird sie eine Vermisstenmeldung abgeben und eine große Suchaktion startet. Diese ist sicher auch bald erfolgreich, da der nicht zurückgegebene Mietwagen nur 12 km entfernt parkt. Verdammt, ich kann Ulli doch keine Nacht in Angst bereiten, nur weil ich in meinem optimistischen Leichtsinn für solche eine Aktion nur vier statt 8 Tage eingeplant habe.

Ich komme mit Schmerz, Hunger und Entbehrung gut klar und kann meine Emotionen kontrollieren. Zumindest dachte ich das bisher. Aber Ulli derart in Sorge zu wissen, vertrug ich nicht und kapitulierte. Morgen früh sollen wir in Frankfurt sein. Also unternehmen wir morgen noch einen Abstiegsversuch. Sollte das Wetter schlechter sein, machen wir vorher einen Versuch mit dem Funkgerät. Wir wollten die Bergrettung bitten, uns doch bei Ihrer nächsten Vulkancheckfahrt aufzulesen und mitzunehmen.

Am Morgen des 11.04.2010 gab es nur noch heißen Kaffee zum Frühstück. Kein Problem, mache ich immer so, wenn ich gesoffen habe. Außerdem ist das mehr als ein durchschnittliches Lagerfeld-Model den Sommer über bekommt. Das Wetter war unverändert, obwohl der Wind jetzt voll Südwest war. Die Sicht war immer noch unten auf 10 Meter, die Windstärke unverändert. Ich drückte also den Aktivierungsknopf am Funkgerät, um Kontakt mit der Bergrettung aufzunehmen. Ich schäme mich zutiefst, diesen Dienst in Anspruch zu nehmen, da eine echte Bergnot nicht bestand. Unsere Lage rechtfertigt keinen Einsatz in dieser Größenordnung. Vielleicht hätte ich nach 3 Tagen Hunger den Knopf gedrückt, aber Ulli in Sorge zu sehen war schlimmer als jeder andere Mangel und ich musste sie so schnell wie möglich von Ihrer Last befreien. Natürlich war der Sender kaputt und angesichts des allgemeinen Zustandes der gesamten Elektromaschinerie auch nicht verwunderlich. Ich schraubte die Kiste mit einem herumliegenden Löffel auf und stellte fest, dass die interne 12V-Gel-Batterie keine Spannung hatte. Die war im Winter einfach überlagert und total veroxidiert. Also klemmte ich dieselbe ab und widmete mich der Autobatterie der Hüttenbeleuchtung. Da die Lampen offensichtlich nicht funktionierten, hatte der Bleiakku sogar Restspannung. Ich baute das Teil aus seiner Halterung und schleppte den Brocken die Treppe herunter  zum Sender. Aus dem alten Kabel der Deckenbeleuchtung machte ich eine Verbindung zum Funkgerät und tatsächlich zuckte die Aktiv-LED. Nach wenigen Sekunden verlosch sie aber wieder, obwohl der Sender laut Bedienungsanleitung 30 Minuten hätte aktiv bleiben müssen. Die Ursache war das Flanken-getriggerte Monoflop, welches am Einschaltkreis hing. Die Schaltung ist Standard und Bestandteil jeder Elektrikerausbildung. Ich drehte die Zeitkonstante auf Maximum und wieder nur wenige Sekunden Aktivität. Also das doofe Ding überbrücken, weil offensichtlich im Eimer. Eine Campinggabel, von der ich zwei Zinken zurück bog und den Stiel als Klemmfeder benutzte, bildete die Brücke der Schraubklemmen. Jetzt tat die Kiste dauerhaft und ich drückte den Sendeknopf.
 

Als Anmerkung: McGuiver braucht für so ein Manöver sein Schweizermesser und das A-Team 4 Mann.

Na gut, Chuck Norris hätte dem Ding vermutlich einen Roundhouse-Kick verpasst und Petrus hätte dann vor Angst den Sturm abgestellt.

 

 

 

Mein Anruf:

Baldvinsskàli, this is Mountainhut Baldvinsskàli , Baldvinsskàli, this is Mountainhut Baldvinsskàli

Kurze Zeit später und sehr verrauscht:

Moutainhut Baldvinsskàli, this is Icelandic Coastguard Cannel 16 what can I do for you?

Meine Antwort:

Icelandic Coastguard, this is Mountainhut Baldvinsskàli, two persons stuck in bad weather, requesting pickup.

Antwort:

Mountainhut Baldvinsskàli, Icelandic Coastguard, is there a direct emergency?

Meine Antwort:

This is Mountainhut Baldvinsskàli, there is no direct emergency, nobody injured, no hypothermia but we ran out of food.

Kurze Zeit darauf und sehr verrauscht:

Mountainhut Baldvinsskàli, Icelandic Coastguard  how long have you been up there.

Meine Antwort:

We have been here for three days

Mountainhut Baldvinsskàli, Icelandic Coastguard, there will be a Rescue team under way, getting to you at 1500, is that acceptable?

Meine Antwort:

Affermative, Rescue team under way, 1500 is very acceptable

Antwort:

Mountainhut Baldvinsskàli, Icelandic Coastguard, stay where you are and keep listening to this channel.

Meine Antwort:

We will stay here and listen to this Channel.

 

 

Es war kurz nach sieben Uhr morgens und ich hatte die Bergwacht alarmiert, weil ich emotional mit einer Situation nicht klarkam, in die ich mich selber brachte. Hätte ich den Herren von der Küstenwache bitten sollen, meiner Frau Bescheid zu sagen? Ich wollte aber den Notrufkanal nicht für meine persönlichen Familienangelegenheiten missbrauchen. Wie soll ich das denn vertreten, dass sie eigentlich nur eine Frau in Deutschland anrufen müssen. Ich wünschte mir vorwurfsvolle Blicke und eine gesalzene Rechnung, eine Anzeige, ein Gerichtsverfahren und lebenslanges Einreiseverbot. Ich war schließlich nicht in der Lage, die Konsequenzen meines Handelns zu tragen und gefährde Menschenleben, um die Sorgen einer weit entfernten Person zu mindern. Ich fühlte, wie sich mein Magen verkrampfte. Wenn die Lebensretter heute Nachmittag hier eintreffen finden sie keine durchnässten und frierenden und aus Arterien blutenden, kollabierten oder bewusstlosen Unterkühlten vor, sondern zwei frisch rasierte deutsche Hampelmänner, die faul die Hände in die Taschen stecken und offensichtlich nur keinen Bock auf den Rückweg haben. Und weil denen warm ist ,stehen sie auch draußen rum und fotografieren die Gegend. Der eine pult sich die Filetsteakreste aus den Zähnen während sich der andere über eine der vielen wohltemperierten Rotweinflaschen hermacht weil er zu viel Bratkartoffeln zum Frühstück hatte…..eine wahre Horrorvorstellung.

 

Als dann kurze Zeit später:

Moutainhut Baldvinsskàli, this is Icelandic Coastguard

Meine Antwort:

Mountainhut Baldvinsskàli listenning

Verrauscht:

Moutainhut Baldvinsskàli, the rescue Team has some trouble due to the harsh weather conditions but they will do their best.

 

Verflixt, diese braven und tapferen Isländer reißen sich hier für uns den Arsch auf und fahren mit GPS und 10m Sicht durch den Schneesturm, wie soll ich mich nur erklären. Ich schämte mich in Grund und Boden und wünschte mir eine akute Blinddarmentzündung, Fieber oder einen offenen Bruch, um meine Rettung zu rechtfertigen. Ich überlegte kurz, gegen den Dachbalken zu rennen um wenigstens eine ordentliche Platzwunde vorweisen zu können. Das mache ich sobald ich die Scheinwerfer sehe, damit es noch blutet.

Inzwischen klarte es erwartungsgemäß immer mehr auf und die Bedingungen für einen Rückmarsch waren geschaffen, da man in den kurzen Sichtphasen sogar die Küste sehen konnte. Plötzlich scheint kurz die Sonne und die Fimmvörðuhàls-Hütte am Pass oben ist sichtbar. Es stürmt zwar noch heftig, aber es sind 10 km Sicht zwischen den kurzen und heftigen Hagelschauern. Der Abstieg...ein Spaziergang.

Kurze Zeit überlege ich, die Aktion abzublasen, aber offensichtlich tun die sich einiges an, um zu uns zu gelangen. Außerdem bleibt man bei einem Rettungseinsatz wo man ist.

Als gegen 4 Uhr die Bergwacht eintrifft, stehen wir mit Rucksack bei Fuß auf der Veranda. Zu unserer Überraschung keine vorwurfsvollen Blicke oder Fragen, was uns unwissenden Anfängern denn im Kopf rum geht. Die beiden jungen Retter, Inka und Arnaldur sind sehr freundlich und bester Laune.

Ich melde mich noch per Funk bei der Küstenwache ab und verbastele alles wieder so wie es war, auch wenn das nicht so funktioniert. Ich zeige dem Team noch die kaputte Sendeanlage und sie notieren sich die notwendige Wartung.

 

Icelandic Coastguard this is Mountainhut Baldvinsskàli

Antwort:

Moutainhut Baldvinsskàli, this is Icelandic Coastguard

Meine Antwort:

Icelandic Coastguard the rescue team is at Baldvinsskàli

Antwort:

Moutainhut Baldvinsskàli, have a save trip back to Civilisation, over and out.

Meine Antwort:

Over and out

 

 

Die beiden Isländer haben sichtlich Spaß, ihren Riesenjeep durch die Gegend zu schraddeln und suchen bei der Gelegenheit gleich noch einen Weg auf den Gletscher. Dabei führen sie ein gediegenes, aber aktives Gespräch und arbeiten als Fahrerteam hervorragend zusammen. Sie kundschaften mögliche Fahrwege aus und verkünden stolz, dass die beiden anderen Autos, die Skógar verlassen haben nicht über den Fluss gekommen sind. 38 Zoll sind einfach zu wenig meint Arnaldur, der Fahrer. Darauf frage ich Ihn nach dem Reifendurchmesser seines Trucks. Mit geschwellte Brust meint er: 47 inch.

Das Wahnsinnsding blubbert mit extrem niedrigem Reifendruck gediegen über den Neuschnee. Urplötzlich senkt sich das rechte Vorderrad derart, dass das hintere links abhebt. Die beiden juchzen ein wenig unterdrückt und wirken gar nicht erschrocken. Ich bewundere die Isländer für Ihre sprichwörtliche Gelassenheit. Trotzdem war A. sehr schnell auf der Bremse und hat verhindert, dass die Karre gänzlich in dem schwach blau schimmernden Eiszulzsee verschwindet. Durch den Neuschnee war der nur schwer zu sehen. Wie gut, dass wir nicht einfach den Hang hinunter gelaufen sind. Er macht einen kurzen Versuch mit Differentialsperren, rückwärts herauszufahren. Da alle vier Räder durchdrehen gibt er nach kurzer Zeit auf. Sofort bekommt jeder eine Schaufel und wir buddeln im Schneetreiben das mittlerweile über einen Meter im blauen Eiswasser steckende Fahrzeug frei. Gewissenhaft tragen sie die Problemstelle im GPS ein und schraddeln weiter.

Mensch, da versenken die beinahe drei Tonnen Hightech-Equipment im Eiswasser und sind quietsch vergnügt, knabbern ihre Kekse und trinken Orangensaft. Dafür hätten die doch auch die Nacht in der Hütte verbringen und später vermutlich einige wenig angenehme Gespräche führen müssen. Ein tolles Volk...

Arnaldur ist sehr geschickt mit dem Truck und umfährt Problemstellen extrem umsichtig und langsam. Inka liefert Informationen über die Fahrspur und offensichtlich sind beide höchst Offroad begeistert. Sie verfügen über eine Menge Erfahrung und bewältigen Hindernisse, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Dabei behalten sie ihren stetigen und relaxten Gesprächsfluss, einfach unglaublich. Sie tasten, probieren, entscheiden und navigieren nach GPS teilweise in ihrer alten Fahrspur zurück. Immer als Team und sehr profimäßig und auf allerhöchstem Niveau. Sicher hätte man im nachhinein ein tolles 4x4-Video daraus machen können und tatsächlich gibt es im Netz nichts vergleichbares. Tobias und ich dachten aber nicht im Traum daran jetzt auch noch auf Sightseeing zu machen und den beiden mit einer Kamera im Nacken herumzufummeln. Das Wetter bessert sich ein wenig und es geht vom Schnee runter. Sie erhöhen den Reifendruck von 9PSI auf 25PSI und verkünden, dass ein Auto gar nicht hoch genug sein kann. Welcher Gegensatz, in Deutschland wird tiefer gelegt und die Isländer legen höher. Arnaldur erzählt, dass er gerade an einem 50 Zoll Truck mit Unimog-Achsen baut. "That is a real car" schwärmt er. Ich halte schön die Klappe und erwähne meinen Unimog mit keinem Wort.

Weiter unten reicht mir Arnaldur sein Handy, um mit einer Reporterin des Morgundubladid zu sprechen. Wie zu erwarten, kommt so etwas natürlich in die Isländischen Nachrichten. Sonst passiert nämlich nicht so viel. Die Reporterin stellt mir Fragen:

 

Where you afraid up there?...No

Where you surprised by the weather conditions in Iceland?...No

Have you been to Iceland before?...Yes, several times

Did you know about the hut?...Yes, about both of them

Did you come to see the volcano?...Yes

Did you see the volcano?...No

Why not?...It was too risky

Where you cold?...No

Did you bring proper clothes?...Yes

Are you grateful...Yes we are very grateful

 

Sie fragt mich nach meinem Namen. Ich zögere zunächst, beschließe aber, dass die Flucht in die Anonymität angesichts meiner Schuld nicht angemessen ist. Wenn ich schon einen Sack voll Scheiße gemacht habe, dann kommt da auch mein Namensschild dran. Ich las später den Artikel im Morgunbladid und kann bestätigen, dass es genau so war, wie die Reporterin berichtete. Eine sehr faire Berichtserstattung ohne Sensationspresse.

Er bekam sein Handy zurück, dass ich eigentlich nur annahm, weil ich hoffte Ulli wäre dran.

 

Die Öffentlichkeit verlangt nach verblödeten Hanswürsten, die so bescheuert waren ihrem „average-dull-life“ zu entfliehen um auf dem 63 Breitengrad ihr buntes Outdoorgear auszuprobieren, nur um sich schließlich zu wundern, wie rau das Wetter hier werden kann. Die Wahrheit ist, ich persönlich habe mich trotz einschlägiger Erfahrung von der Hoffnung leiten lassen, man könnte so eine Aktion am langen Wochenende durchführen und komme nun mit den Sorgen meiner Frau nicht klar. Für dieses höchst fahrlässige Desaster trage ich die volle Verantwortung und komme fast um vor Gram.

 

Das Fahrerduo fiebert schon der Problemstelle Fluss entgegen und berichtet von mehreren Eisschichten. Die Furt ist an einem Eiswasserfall und der Truck durchbricht die oberste Schicht und das Wasser steht bis über die hohen Trittbretter. Auf der unteren Schicht rutscht er bedrohlich stromabwärts, aber die Spikes verhindern das Schlimmste. Gleich nebenan befindet sich ein 2 Meter tiefes Becken, was die Karre umlegen würde. Als der Jeep aufgrund der starken Strömung der Kante zu nahe kommt, seufzen beide nur unterdrückt und schon wird wieder erzählt. Die Ausfahrt ist das Problem. Die 70cm Eisstufe schafft der Ford-Truck einfach nicht, weil er an dem senkrechten Hindernis abrutscht. Deutlich spürt man, wie die Felge des wenig gefüllten Reifens gegen das blanke Eis stösst. Wie ein Wiesel klettert Inka nach hinten, holt eine Schaufel, springt auf die Motorhaube und ans andere Ufer um die Eiskante rund zuhacken. Ich tue es ihr gleich und nehme eine Spitzhacke, wobei mir auffällt, dass die riesigen Reifen nur wenig aus dem Eiswasser heraus schauen. Als der 47 inch Ford Superduty nach einigem Würgen und mehreren Fehlversuchen die Passage macht, halten die Isländer die Aktion stolz mit Ihren Kameras fest, um daheim zu zeigen wie es gemacht wird. Ein kurzes juhu und weiter geht es.

Die Strecke wird schlammig und der Dreck spritzt meterhoch. Unser Rescueteam scheint es zu genießen und mampft Sandwiches. Die Bewegung des Fahrzeugs ist wegen der riesigen, weichen Reifen höchst interessant. Es schwingt um die Hochachse und springt heftig. Arnaldur fährt dementsprechend langsam. Gegen 7 Uhr kommen wir in Skógar an und bedanken uns auf das allerherzlichste. Bei der Frage nach der Rechnung meinen beide nur, "No thats OK and it was a lot of Fun". Das nehme ich doch angesichts meiner Gewissensbisse nicht hin und zwinge sie zu einem dicken Trinkgeld, was in Island eigentlich nicht so gerne gesehen wird. Ich drohe damit sofort wieder hinauf zu rennen, wenn sie das Geld nicht annehmen sollten. Zwei ausgebildete und qualifizierte Menschen schmieren sich, verbunden mit einigem Risiko und teurem Material unter dem Hintern, den ganzen Tag ans Bein. Ich beschloss, so etwas darf nicht ganz umsonst sein. Wenn die den Truck wegen uns versenkt hätten, stände ich mein ganzes Leben lang gegenüber Island in der Schuld. Nicht auszudenken, wenn jemandem noch etwas passiert wäre.

"You did the right thing" sagt Arnaldur noch zum Abschied. Mir ist nicht ganz klar worauf er hinaus will. "Last week, two men tried to walk off  the glacier and froze to death half way down" erzählt er. "We do not like picking up dead people" fügt seine Kollegin kopfschüttelnd und naserümpfend hinzu. Ich erinnere mich in diesem Moment an die zwei erfrorenen italienischen Gebirgsjäger auf der Winterkampfübung "Arctic Express 94" in Nordnorwegen, an der ich in meiner Wehrdienstzeit teilnahm. Wahrhaft kein schöner Anblick. "If the wind is more than 120, it is impossible. You think you can do it, but you can not" reißt mich Arnaldur aus meinen Gedanken. Tobias schaut mich mit vorwurfsvoll an und atmet einmal tief ein und wieder aus. Wir schütteln Hände und bedanken uns noch einmal.

Jetzt aber nichts wie Ulli anrufen und sie von Ihrer Last und Sorge zu befreien. Ich wollte Ihr jede Sekunde ersparen und rannte rüber zum Hotel. Gleich an der Rezeption knallte ich 1000 Kronen auf  den Tisch, wählte die Nummer und tat das, was ich mir den letzten Tag am meisten gewünscht hatte.

"Hallo Ulli wir sind OK...Gott sei dank", jetzt war ich wirklich gerettet und eine große Last fiel von mir ab.

 

Fortan quäle ich mich täglich mit der Gewissheit herum, den hervorragenden isländischen Rettungsdienst zur Minderung meiner persönlichen Sorgen missbraucht zu haben. Dieses Gefühl empfinde ich als viel schlimmer als alle Entbehrungen aller meiner Touren zusammen. Dazu hätte ich jetzt den Mut, doch die Küstenwache über Funk zu bitten, meine Frau anzurufen. Schließlich gefährdet jede Rettungsaktion deutlich mehr Menschenleben. Leider fehlte mir in der Hütte angesichts der Euphorie über die erfolgreiche Flickaktion die Fähigkeit zu dieser Überlegung. Ich war einfach damit vertraut, eine reparierte Anlage in Betrieb zu nehmen und drückte ohne weitere Überlegung den Sendeknopf uns setzte den Anruf ab, der mir den ganzen Morgen schon durch den Kopf ging.

Ulli hingegen ist mir für mein Handeln sehr dankbar, dass ich alles daran setzte, sie zu erlösen. Sie war tatsächlich schon dabei, eine Vermisstenanzeige aufzugeben und hatte die Familie informiert, welche zum Beistand anrückte und ebenfalls weite Reisen unternahm. Sie rechnete mir meine Vernunft über die Entscheidung den Abstieg abzubrechen hoch an und machte mir für die ganze Aktion nicht einen einzigen Vorwurf.

Ihre Dankbarkeit verdient eindeutig der isländische Bergrettungsdienst, der manchmal auch außerhalb Islands Menschen erlöst.

Natürlich sprang unsere Mietkarre nicht an und es ist wohl nicht schwer zu erraten wer uns Starthilfe gab.

Ab zurück ins Hotel. Ich buchte um Mitternacht im Internet einen Flug für den nächsten Morgen. Es waren noch genau zwei Plätze frei.

Am 12.04.2010 schloss mich Ulli in Ihre Arme und zerdrückte mir fast die Rippen.

48 Stunden später brach in unmittelbarer Nähe unseres Gefängnisses der Vulkan unter dem Eyjafjalla-Gletscher aus. Die riesige Aschewolke brachte den Flugverkehr über Europa zum erliegen. Die Schmelzwasser-Flutwelle überschwemmte die Ringstrasse und führte zur Evakuierung von 700 Menschen.

 

 

Einige Fehlentscheidungen führten zu dieser wenig erfreulichen Aktion. Die fanatische Überzeugung unbedingt ein seltenes Naturschauspiel zu sehen, die knappe Zeit, die Ignoranz der Wetterwarnung im Internet und die Ignoranz der Bedingungen vor Ort waren Fehlentscheidungen die wir jeweils in bequemer Umgebung und mit der Maus in der Hand getroffen haben. Die meisten Leser dieser Zeilen sitzen vermutlich ebenfalls im Trockenen und Warmen und sind gut gesättigt und haben tausend Vorschläge, was man hätte anders machen können oder was sie an unserer Stelle unternommen hätten. Warum hast du nur dein GPS nicht mitgenommen? höre ich fast immer. Ganz einfach, meistens braucht man es nicht und auf diesem stark frequentierten und perfekt ausgebauten Weg hielt ich es eben für überflüssig, selbst bei der Schneehöhe. Außerdem hätten wir an dem besagten Tag auch problemlos wieder absteigen können. Inzwischen frage ich mich auch, ob der Abstieg mit exakter Kenntnis der Position entscheidend sicherer gewesen wäre. Wir wussten schließlich nicht genau wie weit der Schneesturm ins Tal reichte.

Von der Richtigkeit der Entscheidung den Abstieg abzubrechen, bin ich jedoch überzeugt. Das Darmstädter Echo wir sich also noch eine Weile gedulden müssen.