Schraubereien hinterm Horizont

von Thomas Lukasczyk

 

Im Sommer 2010 klopften Ulli und ich gespannt an die Tür des großen beige gefärbten 1550 Unimog Expeditionsmobils. Wir befanden uns auf dem Stellplatz bei Dreki nahe der Askja mitten im isländischen Hochland und ich erinnerte mich flüchtig an Tom, dessen Bekanntschaft ich auf dem Unimurr-Treffen 2007 gemacht hatte. Bei einer Flasche Rotwein erfuhren wir von der traumatischen Jungfernfahrt des schicken Fahrzeugs, bei der die Hinterachse pulverisiert wurde. Fortan beschäftigte sich Tom mit der immens aufwändigen Umrüstung des Basisfahrgestells auf 10-Loch Achsen. Das bedeutet neben dem eingehenden Studium des Mercedes-Benz Teilekataloges die Kürzung des hinteren Schubrohrs plus Antriebswelle. Weil die Übersetzung nicht hingehauen hat, lies sich dieser völlig Eingetauchte bei einer schwäbischen Maschinenbaufirma einen ganz individuellen Radsatz fertigen. Diverse Achsmodifikationen mittels aufwendigen Vorrichtungen um die Reifendruckregelanlage zu übernehmen inbegriffen. Nicht zuletzt wurde ein neues und ebenfalls individuelles Fahrwerk entworfen. Aluminium-Sprengring-Felgen mit Beadlocks runden das Projekt ab. Kurz gesagt, Tom hatte was die Möglichkeit diesen Unimog rollen zu lassen, weder Kosten, Mühe und Planung gescheut und sämtliche verfügbaren Register gezogen. Im Prinzip handelt es sich um eine ganz individuelle Konstruktion des Antriebstranges und Tom hatte das völlig selbstständig angegangen. Das Prädikat "Vom Allerfeinsten" ist zweifelsfrei gerechtfertigt.  Ohne zu übertreiben verfügt sein Unimog perspektivisch über die "Endlösung der Antriebsfrage". Definitiv ein beeindruckendes Projekt, welches auch aus meiner Sicht begeistert und Schrauberlaune weckt. Ich habe höchsten Respekt davor, wenn Leute aus Leidenschaft solche Klimmzüge machen und wollte unbedingt meinen Beitrag dazu leisten, selbst wenn er klein ist. Auf unserer Island-Reise 2012, die wir gemeinsam unternahmen, berichtete er von der anstehenden Fertigstellung des Umbaus. Da ich das Leuchten in seinen Augen nicht mehr ertragen konnte, meldete ich mich sozusagen völlig uneigennützig und in aufopfernder Manier als Helfershelfer zu der anstehenden Ausführung des Einbaus, der in jahrelanger Arbeit vorbereiteten Achsen. Ich hatte einfach tierisch Bock darauf, diesen edelsten Maschinenbau in einer Männer-Schrauber-Aktion mit eingesauten Fingern und derben Sprüchen in angenehmer Gesellschaft an den Mog zu bringen. Ein Wochenende plus einen Gleitzeittag konnte ich abzwacken.....
An jenem Freitag Spätnachmittag, Ende Juni 2013 befand ich mich auf dem Weg zum Flugplatz. Endlich konnte ich meinen Flieger mal als Verkehrsmittel einsetzten und die ganze Strecke unter die Flügel nehmen. Ich wohne in Südhessen und der Unimog von Tom steht bei Berlin in einer Scheune.  Mit dem Auto würde ich knapp einen Tag alleine für die Anreise verbraten, wie ich nur wenige Wochen bei unserem Besuch erleben durfte. Voller Anspannung hatte ich den ganzen Vormittag die Seiten des Deutschen Wetterdienstes abgesurft und die Vorhersage der Sichtflugmöglichkeiten gecheckt. Von Südhessen nach Berlin geht es nun mal über den Thüringer Wald und das sollte die Schlüsselstelle werden, wie mir die dichte Bewölkung, aus der einzelne Regentropfen fielen, schon jetzt ankündigte. Wenn alles gut geht, könnte ich nach 440 km Luftlinie in 1,5 Stunden dort sein.
An diesem grauen Freitagnachmittag war der Flugplatz völlig verwaist und recht einsam bereitete ich meinen Flieger auf die Reise vor. Mit dem Gewissheit ein Abenteuer zu erleben schob ich gespannt und aufgeregt den Gashebel des getankten und peinlich durchgesehenen Fliegers Richtung Brandschott. Der O-320 drehte brav mit Startdrehzahl und zügig beschleunigte meine Tango-Lima auf Abhebe-Geschwindigkeit. Unter Ausnutzung des Fahrtüberschusses drehte ich in den Querabflug richtete sofort die Flugzeugnase auf den Unimog der irgendwo im Nordosten hinter dem Horizont auf neue Achsen wartet. Öltemperatur und Zylinderkopftemperatur erreichten in 3000 Fuß Höhe die erwarteten Werte und zufrieden schnurrte die Mühle voran. Ich zog den Gemischhebel auf "arm" bis die höchste Abgastemperatur anlag und sich der Kraftstoffdurchfluss bei 2/3 Leistung auf 30 Liter pro Stunde einpendelt hatte. Mit Genugtuung notierte ich eine GPS-Groundspeed jenseits der 300 Km/h. Es nieselte leicht und die Sicht betrug mindestens 10 km. Das Wetter sah in Kursrichtung soweit gut aus. "Könnte klappen, könnte klappen" rief ich in das kernige Motorengedröhn, welches nur mit Kopfhörer zu ertragen ist. Bald zeichneten sich am Horizont schon schemenhaft  Rhön und Thüringer Wald ab. Die Wolken hingen zwar tief, jedoch verblieb immer ein schmaler Streifen zwischen deren Untergrenze und den rotierenden Blattspitzen der häufig auf den Gipfeln aufgestellten Windkraftanlagen. Wenig später ging es hinter Bad-Hersfeld rüber in die DDR. Meine Maschine fraß Kilometer um Kilometer der riesigen vom Bergbau gezeichneten Landschaft. Unter mir tauchten die überschwemmten Gebiete des Elbhochwassers auf und verschwanden wieder. Einen Schauer umflog ich noch südlich und schon quietschten die Reifen auf dem Asphalt der Zwofünf in Ecko-Delta-Alpha-Zulu-Schönhagen. Gesamtflugzeit 1 Stunde 29 Minuten. Tom wurde über Handy informiert und kurze Zeit später verließen wir beide das Terminal Richtung Parkplatz. Was für eine geile und verdammt flotte Anreise. Tom lud mich zu einem Steak ein und beschrieb die Details des akribisch geplanten Ablaufes.
Das Ausmaß der bevorstehenden Arbeiten war erdrückend. Der Mog stand unberührt auf seinen "alten" Achsen und streckte Tom, Ingolf und mir recht verächtlich sein Hinterteil entgegen. In den kommenden Tagen hatten wir folgendes vor: Karre hinten aufbocken, Räder runter, alte Hinterachse komplett mit allem Gerödel abbauen, Antriebsflansch und Getriebe-Simmering tauschen, neues hinteres Schubrohr anbauen und Schubkugel ausdistanzieren. Schubrohr wieder abbauen und mit neuem Triebling, Streben und Antriebswelle montieren und an die neue Hinterachse flanschen, neue Hinterachse mit allem Gerödel einbauen, neue Federpakete einbauen, Hinterräder zerlegen und die Reifen auf neue Sprengringfelgen ziehen, beide Räder an die Achse schrauben.
Karre vorne aufbocken und die Vorderachse mit allem Gerödel abbauen, Antriebsflansch und Getriebe-Simmering tauschen, neues vorderes Schubrohr anbauen und Schubkugel ausdistanzieren. Schubrohr wieder ab und mit neuem Triebling, Streben und Antriebswelle montieren und an die neue Vorderachse bauen, neue Vorderachse mit allem Gerödel einbauen, neues Federpaket einbauen, Vorderräder zerlegen und die Reifen auf neue Sprengringfelgen ziehen, beide Räder an die Achse schrauben.
Dafür standen auf unserer Seite drei Mann, drei Tage, jede Menge Dreistigkeit und keins von drei Sonderwerkzeugen. Mir war auch durchaus klar, dies wird kein Spaziergang und so geradeaus, wie das auf dem Papier oder im Werkstatthandbuch beschrieben wird, ist das in der Praxis nicht. Es kommt auf Erfahrung, ein gewisses Gespür und eine nicht unwichtige korrekte theoretische Wissensgrundlage an. Kurz gesagt ist es nicht wichtig zu Wissen "wie es geht", sondern zu wissen "wie es weiter geht wenn nichts mehr geht". Auch ist der Körpereinsatz jenseits der zwei Zentner mit der dazugehörigen Portion "Ompf", mit dem Ingolf ins Rennen ging, nicht zu verachten. Solche Unterarme will ich nächsten Leben auch haben.
 
 
Wie geplant, lag um Mittag des ersten Tages die alte Achse auf dem Estrich und wurde auf mehreren Rollwagen ins hintere Eck der Scheune bugsiert. High-Five mit Schmierfingern und bei der folgenden anständigen Brotzeit, die Tom auffuhr, kam mir folgender Gedanke. Ein Mann des 21. Jahrhunderts braucht nicht die blauen Döschen die auf "wewewe niveamen de" angeboten werden, sondern einen Dreiviertel-Zoll Druckluft-Schlagschrauber. Punkt
In das Suppenkoma fiel das Einstellen der hinteren Schubkugel. Etwas nervig, da man öfter probieren und montieren muss, bis alles "schön stramm" sitzt. Wir stellten das Teil nach Gefühl ein, so wie ich es in einer Unimog Fachwerkstatt mal mitbekommen habe. Schubkugelgehäuse anziehen und dann hinten wackeln. Anschließend montierten wir unter vollem Körpereinsatz das knallrot lackierte Edelstück mit einem ganzen Haufen Distanzringen und jeder Menge Dichtmittel an der ebenfalls knallrot angepusteten Pornoachse.
Ingolf verpasste den 8 großen Schrauben an den Verstrebungen ihre 350 Nm. Tom und ich zogen mit einem improvisierten Abzieher den Antriebswellenflansch aus dem Getriebe. In die Gewindelöcher des Kreuzgelenkflansches steckten wir zwei abgesägte Schrauben. Mit den Feingewindeschrauben drückten wir diese Metallzylinder durch die Löcher hinten gegen das Getriebegehäuse. Ein gewöhnlicher Abzieher passt nämlich nicht. Der bombenfest sitzenden Antriebswellenflansch ging so von der Welle und wurde samt Wellendichtring ersetzt. Zur Belohnung gönnte ich mir eine Dummlager- Rumsteh- Nachdenk-Zigarette. Die schwarzen Schmierölstreifen auf dem Glimmstengel verschafften mir Gewissheit. Wie weit auch die Emanzipation der Frauen auch fortschreiten mag. Selbst in 1000 Jahren werden die Flecken die Männer oder Frauen auf ihre Zigaretten machen, von unterschiedlicher Farbe sein.
Tom rätselte noch an einer Möglichkeit herum, die überflüssigen Aufnahmen für die ABS-Sensoren an seiner Achse zu verschließen. Die Lösung war einfach: Eine 5 Cent Münze vor das konische Loch legen und mit Sikaflex gegen das aufgeschweißte Rohrstück verfüllen.
 
 
 
 
"Ich mache mal die Badenutte" verabschiedete ich mich gegen 7 Uhr in Richtung Dusche. Die schwere Arbeit, Achse rücken, verschoben wir auf den nächsten Tag. Tom warf den Grill an und kümmerte sich aufopfernd um seine Mannschaft. Mein ganzer Körper kribbelte vom Muskelkater und ich genoss das Gefühl der zufriedenen Erschöpfung. Ich verdrückte drei Steaks, fünf Kartoffeln und 5 Bier. Später erzählten wir gemütlich auf dem Hof sitzend von bestandenen Abenteuern. Ingolf hatte so mit die coolsten Reisegeschichten parat, die ich je gehört habe. Die Mücken überredeten uns nach Einbruch der Dunkelheit zum Schlafengehen. Tom fuhr in seine Stadtwohnung um noch diverse Teile, mit denen er wohl in den letzten Wochen heimlich gespielt hatte, zu holen.  
 
Von einer ausklingenden Erkältung frühzeitig wach gehustet, schlenderte ich mit einer Tasse "George Clooney Brummkaffee" auf den Innenhof und setzte mich in die Morgensonne. Gar nicht übel, die Brühe. Ingolf öffnete kurz darauf die Tür seines Schlafgemaches und gesellte sich dazu. Wir frühstückten ausgiebig und streckten unsere geplagten Knochen. "Komm wir legen die Hinterachse mal in Position, bevor der Chef anrückt" schlug ich vor. "Ich will sowieso wissen ob das alles so passt wie Tom sich das gedacht hat" entgegnete Ingolf. Gegen 8 Uhr lag das schwere Ding etwa da wo es hingehört. "Was ne feuerrote Nutten-Achse. Da braucht der nur noch ein rosa Neon-Leuchte-Herzchen in sein Fenster zu hängen und die Refinanzierung des Achsumbaus kann beginnen" lachten wir. In diesem Moment hörten wir Tom hinter uns auf den Hof fahren. "Hat der aber gut ausgefuchst und auch das neue Schubrohr könnte von der Länge her passen" meinte ich. "Aber hallo, das passt ganz genau" korrigierte mich Tom während er die Scheune betrat. Antriebswelle anflanschen, Schubrohr drüber und fest schrauben sowie Panhard-Stab anbauen folgte. Letzter wehrte sich nachdrücklich und wollte ohne eigens angefertigte Montagehilfe einfach nicht aufgeben. Aber Ingolf und ich zeigten es der Drecksau und zogen schließlich zufrieden das nötige Drehmoment auf den Bolzen. Die ebenfalls knallrot gepulverten Federn samt Druckteller, Distanzscheiben und Durchfederpuffer brauchten alle sechs verfügbaren Hände, bis sie endlich an Ort und Stelle saßen. Ingolf und ich montierten die neuen geilen Alu-Sprengringfelgen mit Flutschipaste und den hausgemachten Beadlocks. Tom fummelte an den Bremsleitungen herum und war ganz scharf darauf alles komplett fertig zu stellen. "Mensch lass das Kleingefi..e, der Bumsbomber muss morgen auf den neuen Achsen stehen", machte ich meiner Befürchtung, dieses Ereignis aus Zeitmangel nicht mehr zu erleben, etwas Luft. "Die Federspeicher stelle ich noch ein" entgegnete er trotzig. Um Mittag saß der Mog tatsächlich komplett auf seiner neuen Hinterachse mit Rädern. Das Geschlauche baumelte zwar noch in der Gegend herum, aber die grobe Hardware war am Fahrzeug. Der Mog stand eine ganze Ecke höher und sah mit den schönen silbernen und klar gepulverten Sprengringfelgen fabelhaft aus. "Sieht schon g..l aus mussten Ingolf und ich gestehen.
Die Böcke wurden umgestellt und die alte Vorderachse ausgebaut. Am Spätnachmittag lag sie neben ihrem langjährigen Partner in der Ecke der Scheune. Wir bereiteten die neue, rote Vorderachse auf die Montage vor, distanzierten das Schubrohr aus und zogen mit dem nun vorhandenen Bastelabzieher den Flansch der Antriebswelle herunter. Die 5 Cent Dichtungslösung kam ebenfalls wieder zum Einsatz.
 
 
 
Gegen 20 Uhr schlenderten wir über den Hof in Richtung Grill. Tom pennte im Unimog ohne Vorderachse, Ingolf pennte in seinem Unimog mit Vorderachse und ich pennte im Hinterzimmer des großen, bildhübschen und leer stehenden Landhauses.  
  
Vorderachse mit Triebling, Streben und Antriebswelle zusammen und schoben das schwere Ding an seinen Platz. Das knallrote Riesendreieck lag nun unter dem frei schwebenden Unimog. Wir schoben noch einen großen Holzbalken unter die Karre. "Nicht Lebensraum im Osten, sondern Lebensraum unterm Kasten" kommentierte ich diese Maßnahme. Ingolf konnte ein Lachen nicht unterdrücken.
Diesmal wollte die Montage nicht so leicht von statten gehen. Durch den kleineren Hebel des kürzeren Schubrohrs fällt die Positionierung etwas schwerer. Aber auch die hatte irgendwann verloren. Verschmierte Gesichter im Schein der Stablampe, diverse Flüche, einige angewendete Schraubertricks und das ewige unter dem Bock hervor kriechen von drei Mann waren nötig. Die Vorderachse saß nun endlich an ihrem Platz und machte einen schmalen Fuß. Tom hatte tatsächlich gut geplant und genau gemessen. Panhard-Stab festschrauben klappte wieder nur mit Gewalt und dem Einsatz mehrerer Kuhfüße und Dachbalken. „Gib dem Luder richtig Puder“ war ein häufig gehörter Kommentar. Die störrischen Federn erhielten die angemessenen Argumente und konnten irgendwann auch nicht mehr weg. Um 14 Uhr war klar, es wird verdammt knapp. Es galt noch zwei Beadlocks zu verbauen und mit zwei Sprengringfelgen und Reifen  zu montieren.
Spätestens gegen 16 Uhr muss ich unter die Dusche, damit ich um 17 Uhr starten kann, wiederholte ich immer wieder. Um viertel nach vier meldete ich mich ab und überließ die Baustelle zähneknirschend Tom und Ingolf. Für den Schnappschuss in Siegerpose hockte ich mich noch auf eines der frisch vormontierten Räder. Ich fühlte mich wie einer der letzten, die aus Stalingrad ausgeflogen wurde und die Kameraden im Stich zurücklässt. Diese taten wirklich alles um den Unimog noch vor meiner Abreise auf die neue Achse zu stellen. Es haute ganz knapp hin. Ingolf öffnete das Ventil des letzten Hydraulikwagenhebers und der schwere Mog sackte auf seine neue, rote Wahnsinnsachse. „Herr Kaleu, melde gehorsamst, Boot läuft mit Diesel“ .Tom betrachtete zufrieden das Ergebnis seines Entwicklungsprojektes und nun war der Erfolg offensichtlich. In diesem Moment betrat ich frisch gemacht die Halle und verabschiedete mich nach Süden.  
 
 
Andrea fuhr mich zum Flughafen, der sich Luftlinie nur 4 km vom Unimog entfernt befindet. „Wie wird denn das Wetter?“ fragte ich im C-Office. „Ach das sieht ganz gut aus“ antwortete der Mann hinter dem Schalter. „Wir dürfen doch aus Haftungsgründen keine Wetterberatung geben“ ermahnte ihn sein Chef.  „Keine Angst, wenn ich mir den Arsch abfliege haben sie nichts zu befürchten, oder sind sie schon mal von einem rauchenden Loch im Wald verklagt worden?“ entgegnete ich. Der Mitarbeiter grinste. Andrea musste auch ein wenig zynisch lachen, fand aber meinen doofen Spruch völlig fehl platziert. "Das kannst Du doch Ulli und dem Finchen nicht antun" ermahnte sich mich, völlig zurecht. Bei herrlichster Quellbewölkung rollerte ich zum Haltepunkt Nullsieben und machte meinen Run-UP. Startcheck, Magnete testen, Leerlauf, Startdrehzahl, Gemisch verarmen….
„Delta-Ecko-Xray-Tango-Lima“ abflugbereit Nullsieben“ meldete ich über Funk. „Tango-Lima auf geht’s und Guten Flug“ kam es zurück. Startzeit 17 Uhr (15 UTC) und der Drosselhebel samt Gemischhebel waren am vorderen Anschlag. Der O-320 kurbelte sofort mit Startleistung, was ich mit einem kräftigen Tritt in das rechte Seitenruder quittierte. Der Asphalt rannte schneller und schneller und ganz sanft nahm ich die Räder vom Boden weg. Einen Augenblick später sah ich rechts unten den Hof, auf dem ich die letzten drei Tage verbracht hatte. Mit 200 Knoten grüßte ich die beiden winkenden Gestalten am Boden, die angesichts des Motorengeräusches am Himmel unter der Karre raus und vor die Tür gekrochen waren. Ein wenig Wehmut drückte mir einen ordentlichen Kloß in den Hals. "Jetzt muss ich die da alleine lassen" lamentierte ich, ohne das es jemand hören würde. Schon während ich noch die zuvor ausgeliehene kinetische Energie in Höhe umsetzte, richtete ich die Nase auf Ulli und das Finchen. „In 1,5 Stunden bist du da“ machte ich mir Mut und legte noch eine Kohle auf. Gegen den Wind stellten sich heute bei 2/3 Leistung und 30 Liter pro Stunde nur 280 km/h GPS-Groundspeed ein. "Nö und scheißegal, ich will die 3 vorne haben" sagte ich und erhöhte in kleinen Stufen die Leistung. Bei 36 Liter pro Stunde Durchfluss und 3/4-Power sprang das GPS schließlich von 299 km/h auf 300 km/h. Genau über Dessau und in Kursrichtung sah ich zudem eine fette Gewitterzelle. Die galt es zu umfliegen und nur mit Hilfe der Elektronik fand ich mangels markanter Landmarken meine Kurslinie wieder. Flüsse und Autobahnen kamen und gingen in umgekehrter Reihenfolge wie beim Hinflug unter dem Flügel durch. Am Horizont zeichnete sich wenig später bei allerbestem Wetter der Thüringer Wald ab. Ich verbrachte die Zeit mit Landschaft gucken, Kurs und Höhe halten, Flugplätze aus der Luft finden und dem Motormanagement. Mehr und mehr kannte ich die Gegend und knatterte bald über heimatlichem Terrain. 10 km vor dem Ziel  reduzierte ich die Leistung und kühlte die Maschine im Sinkflug auf eine niedrige Öltemperatur herunter. Um Punkt 19 Uhr berührten die Räder den Grasboden, von dem ich vor drei Tagen zu einer Schraube-Aktion im Nordosten Deutschlands aufgehoben war. Eine weitere Stunde später schloss mich Ulli erleichtert in die Arme.
Ich berichtete von drei sehr intensiven, kameradschaftlichen, lehrreichen Tagen voller Enthusiasmus, Begeisterung und Hingabe, die ich unter Freunden erleben durfte. In dieser Form an Tom's Meisterstück teilhaben zu dürfen ehrt mich und der schiere Gedanke an die Aktion entlockt mir bis heute ein Lächeln.
 
 

Noch ein kleines Nachwort zum Thema aus der Sicht eines leidenschaftlichen Gear-Heads. Dieser Achsumbau ist von der Idee über die Entwicklung und Planung bis hin zur Umsetzung, meinen kleinen Beitrag gänzlich unbeachtet, ein echtes Glanzstück. Da hat auf Anhieb alles zusammen gepasst und so funktioniert, wie der Konstrukteur es vorgesehen hatte, obwohl der Umbau bis heute Beispiellos und alles andere als einfach ist. Hut ab und ein Hoch auf das Projektmanagement und die Konstruktion und das Unimurrmansship.

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