Reisetagebuch Island 2011

von Thomas Lukasczyk

Eine Wanderung von Nýidalur zum Mývatn


 

 

 
 
Nach unserer "Rohrkrepierer-Aktion" am Fimmvörduhals im letzten Jahr hatten mein Freund Tobias und ich einen gewissen Nachholbedarf in Sachen Outdoor-Unternehmung. In früheren Jahren waren wir mindestens einmal pro Jahr unterwegs und eine gemeinsame Aktion war seit nunmehr sechs Jahren überfällig - das Wochenende in Island 2010 selbstverständlich nicht mitgezählt. Ich ergriff die Initiative und rief ihn spontan an. "Gibt es Dich noch?" fragte ich vorwurfsvoll und erinnerte ihn daran, dass unser letztes Gespräch über ein Jahr zurück lag. Kein besonders guter Schnitt für einen besten Kumpel. "Wir müssen wieder mal was machen...", begann ich. "Du, ich habe überhaupt keine Zeit und kann nicht weg, weil meine Firma brummt wie die Sau", war die niederschmetternde Antwort. Ich ließ natürlich nicht locker und machte deutlich, dass "selbst" und "ständig" keinesfalls wörtlich zu nehmen sind. Wir sprachen daher über mögliche Ziele und nachdem ich alle meine Überredungskunst aus dem Hut gezogen hatte, willigte er ein. "Also gut, aber maximal eine Woche und Du kümmerst Dich um alles", sagte er noch vor dem Auflegen.
Die Tour durch Vonaskarð und die nördliche Passage aus der Askja-Caldera standen sowieso noch auf unserer Liste. Das hatten wir 2003 nicht mehr geschafft und möglicherweise ließ sich das sogar verbinden. Ich surfte nach Icelandair-Flügen, fand prompt zwei 100-Euro-Flüge von Berlin-Tegel aus und buchte sofort. Eine Woche später klingelte wieder ein Mobiltelefon in Berlin: "Also hier kommt es, wir laufen von Nýidalur durch Vonaskarð am nördlichen Rand des Vatnajökull vorbei über die Askja zum Myvatn. Route mache ich und Fraß besorge ich auch und die Flüge sind gebucht und gehen am 15. August von Berlin aus", plapperte ich ungestüm drauf los. Eine kurze Pause endete mit folgender Antwort: "Ok, bis dann." Er wollte offensichtlich keine Details, keine Etappenlängen und interessierte sich ebenso wenig für die angesetzte Route. Genoss, beziehungsweise verdiente ich ein derartiges Vertrauen oder war es gar Gleichgültigkeit? Womöglich ging es tatsächlich darum, gemeinsam ein paar Tage in einer interessanten Umgebung zu verbringen? So oder so, es würde spannend werden.

Im ewigen Stau der Berliner Baustellen arbeiteten wir uns Straße um Straße in Richtung Tegel voran. Die Zeit wurde schon knapp und ich rollte ungeduldig mit den Augen und erwartete mit Spannung jede grüne Ampel. Unsere prallen Rucksäcke lagen hinter den Rücksitzen des überfüllten Renault Twingo, den Tobias' Freundin durch Berlin lenkte. "Eine Stunde für 5 Kilometer ist doch ein guter Schnitt", meinte er, während ich meinen rechten Handrücken wiederholt in die linke Hand schlug. Wir schafften es und warfen unsere Rucksäcke aufs Band der Gepäckaufgabe. Gespannt erwartete ich die Anzeige des Gewichts: 19 kg vermeldete die Anlage. Na ja, nicht gerade leicht. Tobias hatte wohl am Vorabend zurecht noch einige Ausrüstungsgegenstände wegdiskutiert. Wenig später hielten wir unsere Bordkarten in der Hand.
"Sie müssen sich unbedingt am Transfer-Schalter in Kopenhagen melden, da Icelandair ein inkompatibles Buchungssystem besitzt", beschrieb die freundliche, blonde SAS-Mitarbeiterin unseren Anschlussflug. Wir nickten beiläufig und träumten schon von frischer Luft, einem freien Blick und von dem Gefühl "draußen" zu sein. Ein kleiner Bombardier-Jet flog uns in die dänische Hauptstadt. Am ganzen Glitzer-Duty-Free-Sinnlos-Mist vorbeihuschend standen wir schnell am Transfer-Schalter. Auf einem roten Schild stand: "Transfer-Counter closed, Icelandair-Flights please check in at the gate." Wir verzogen etwas uneinsichtig das Gesicht und die Dame am Nachbarschalter meinte: "They have their own very special system, just go to the gate." Also schlenderten zwei Typen in Fjällräven-Hose, Bergstiefeln und Softshells in Richtung Gate 4.
"Your flight has been canceled", ließ uns die Kinnladen herunterfallen und wir blickten verstimmt die Icelandair-Mitarbeiterin an, die das Boarding organisierte. "I do not know what went wrong, but you will not be on this plane", sagte sie. Verdammt, da verbocken diese gestriegelten Freaks irgend etwas und unser kleiner Erlebnisurlaub klatscht hier an die Scheibe und läuft in den nächsten Gulli. Wir leben doch schließlich im 21. Jahrhundert und es gibt Apps, die An- und Abflugtafeln von Flughäfen einfach anzeigen und da scheitern die Airlines selber an einer banalen Weiterbuchung? Einfach unfassbar... "But our luggage is already checked through to Kevlavik and on this flight. I know that there is a law that implies we are either on this flight or you have to unload our Backpacks", versuchte ich die Argumentationskette aufzubauen. "You are right", sagte sie und begann auf dänisch mit den Kollegen zu telefonieren. Zum Glück ist dänisch ganz gut zu verstehen, wenn man mit nur einem Ohr zuhört. Offensichtlich waren wir weder die einzigen, noch die ersten mit diesem Schicksal. "Die Knaller sollen das bloß hinkriegen, schließlich geht morgen unser Bus ins Hochland", knurrte ich. "Wenn wir heute nicht nach Island kommen, können wir unsere Tour vergessen." Wir wurden für die Abendmaschine gebucht und hatten den restlichen Tag an dem wunderschönen Flughafen Kopenhagen gewonnen. Als Entschädigung für die fremd verursachten Umstände erhielten wir je einen Verzehrgutschein von 75 Kronen. "Diese kleinen Pisser haben sie wohl nicht alle", meinte Tobias. "Da verraucht uns ein ganzer Tag in dem beschissenen Kommerztempel und wir werden für die paar lächerlichen Kröten abgefrühstückt." Wir kauften uns einen widerlichen Hotdog, spendeten den Rest der Welthungerhilfe und bestiegen um 19 Uhr die Abendmaschine nach Kevlavik.
Island empfing uns mit knapp 10 °C, kaltem Wind, Regen und Dunkelheit. Am BSI schnappten wir unsere Rucksäcke und marschierten einfach drauf los. Der Campingplatz liegt im Nordosten und irgendwie schlenderten wir so nach Gefühl und ohne Plan durch den dröhnenden Verkehr voran. In den Lichtkegeln der Autos schillerten die Pfützen. "Du, irgendwie laufen wir in die verkehrte Richtung", bemerkte ich nach einiger Zeit. "Da oben ist das Perlan und da drüben ist der Flughafen, das passt nicht", meinte ich. "Dann gehen wir einfach zur nächsten Bushaltestelle und fragen", entgegnete Tobias und zeigte auf ein Glashäuschen oben auf dem Hügel. Schwer beladen und beschuht und in wetterfester Montur stellten wir uns vor dem Regen unter. Zwei Mädchen, die barfuss in ihren Flip-Flops standen und nur ein dünnes und kurzes Kleidchen trugen, warteten ebenfalls auf den Bus. "Can you please tell us the way to the Campground", sprach mein Begleiter die beiden Halbwüchsigen an. Sie wiesen in die komplett andere Richtung, aus der wir gekommen waren und hielten uns offensichtlich für so unfähig, uns zu orientieren, dass sie im Bus ein Stück mitfuhren, um uns den Weg genauestens zu beschreiben. Wenig später warfen wir die Rucksäcke ins Gras des Campingplatzes. In der Dunkelheit bauten wir das Zelt zwischen hundert weiteren auf und schämten uns ob der Vorführung durch die Teenager. "Mensch, wir sind zwei schöne GoreTex-Wackelkasper. Da kommen wir mit Mords-Ausrüstung angestiefelt und lassen uns von zwei barfüssigen Bälgern den Weg zeigen", meckerte ich. "Zum Glück haben die uns nicht gefragt, was wir hier vorhaben. Die hätten uns Pausen-Pfadfindern am Ende noch davon abgeraten", meinte Tobias. Wir gingen uns noch waschen und sofort fielen mir die jungen Leute auf, die unter dem Vordach ganz vertieft in ihre iPhones, iPads und eBooks oder sonstige Elektronik-Gadgets starrten. Ich war ein wenig desillusioniert. Backpacking und Trekking erinnerten mich bisher immer positiv an meine Jugend. Fühlte ich mich im Kreise der gut 15 Jahre jüngeren Gesellen doch immer als Gleichgesinnter, so musste ich nun die offensichtlichen Unterschiede akzeptieren. Hier saß eine neue Generation und frönte ihren Interessen. "Mann, ich bin froh, wenn ich den Mist mal für 'ne Weile los bin", flüsterte ich meinem Kumpel zu. "Wir gehören eben schon zum Alten Eisen", sagte er kleinlaut. Kaum lagen wir in unseren Schlafsäcken, begann es zu regnen. Seufzend schliefen wir ein...

1. Etappe Nýidalur - Snapadalur [12,5 km]                                          Link zur Kartenansicht

Früh standen wir auf und packten das Zelt zusammen. Mit dem allmorgendlichen, kostenlosen Bus fuhren wir zum BSI und kauften unser Ticket. Wir gönnten uns noch ein letztes anständiges Frühstück und tranken je drei Tassen Kaffee. Von nun an gibt es Muckefuck und dehydrierte Trekkingnahrung, redeten wir uns ein. In dem großen Bus saßen nur noch drei weitere Gäste. "Vielleicht haben wir Glück und müssen nicht im Pulk laufen", kommentierte Tobias die dünne Besetzung. In Hrauneyjar stiegen noch einige Gäste hinzu und wir befürchteten schon einen Massenexodus in Nýidalur, unserem Ziel. Ich setzte mich direkt hinter den Busfahrer, um ihm beim Pistenfahren über die Schulter zu schauen. "Wenn einer weiß, wie das gemacht wird, dann der", dachte ich mir. "Ach du wirst sehen, der fährt einfach...", meinte Tobias und behielt recht. Ich erinnerte mich an meine Flüche und an meinen Vorsatz, diese Mistpiste nicht mehr zu befahren. Der Busfahrer fluchte ebenso über das Waschbrett und die Einbauten rappelten und wackelten beachtlich und ich rechnete jeden Moment mit Verlusten. Irgendwann kam tatsächlich die Gardinenstange eines Fensters runter und wurde einfach liegen gelassen. Es war herrlich, das fremde Material leiden zu sehen und mir gefiel die Vorstellung des Busses als eine alte Sprengi-Hure. "Der fährt ohne Allrad, Differenzialsperre oder Reifendruck-Regelanlage und führt die ganzen Pseudo-Expeditionsfahrer vom Festland ordentlich vor. Dich und deinen Unimog inklusive", lachte Tobias und knabberte seine Pistazien. Der Bus überholte sogar eine Gruppe SUVs, die irgendwie nicht die richtige Waschbrett-Geschwindigkeit fanden. In Nýidalur gab es eine kurze Pause und wir warteten gespannt darauf, wer wohl aussteigen wird. Wir waren die einzigen Gäste, die ihr Gepäck ausluden und den Bus im Regen davonfahren sahen. "Ich melde uns beim Warden und sage Bescheid, dass wir in drei Tagen in Dreki sind", sagte ich und schlenderte alleine auf die Bude zu. Tobias packte unter dem Vordach des Toilettenhäuschens seinen Rucksack um. Die Rangerin nickte gelangweilt und notierte sich unsere Namen. Offenbar störten wir ihre Ruhe hier draußen. Ich setzte meine Mütze auf, schlug die Kapuze hoch und wollte gerade wieder vor die Tür treten, da stürmten zwei englische Burschen herein. "Did you walk in here", fragte ich. "Yes, we did", verkündeten sie stolz. "From where?", fragte ich. Sie liefen zu der großen Karte im Vorraum und beschrieben ihre Route. Die beiden waren tatsächlich unsere geplante Strecke in anderer Richtung gelaufen. Das bedeutete natürlich ein Riesenglück und ich löcherte die beiden eine ganze Weile. Die hatten wirklich super Informationen aus erster Hand. Tobias kam entnervt herein "Mensch, was machst du denn so lange rum...", und stockte als er in unsere Runde trat. Wir unterhielten uns nun zu viert und verstanden uns gut mit den Engländern. Sie waren genauso drauf wie wir und im gleichen Alter. "Good luck!" wünschten sie uns, als wir im Regen und bei niedriger Bewölkung unsere Rucksäcke umschnallten. "Heavy Bastards, huh?" "They will get lighter on the way", riefen sie uns hinterher. Tobias und ich stapften um 16 Uhr hinaus ins Nýidalur. Die Einsamkeit und die Natur umfingen uns und binnen weniger Minuten knüpften wir an unsere letzten Reisen als Team an und fühlten uns unterwegs. "Wenn das 'Draußen-Gefühl' kommt, trinke ich einen Schluck Whiskey", versicherte ich. Wir liefen nicht den kürzlich ausgewiesenen Weg über den Kamm, sondern wollten unten durch das "neue Tal" laufen. Einen Blick warfen wir noch in die imposante Schlucht Kaldagil und querten den Bach an einer günstigen Stelle. Das Nyidalur endet an einer Klamm mit Wasserfall. Am nördlichen Ufer stiegen wir den Hang hoch und folgten oberhalb dem Bachlauf. Die ersten warmen Quellen erschienen und leider waren die Lichtverhältnisse in dem leichten Nieselregen nicht die besten. In den Niederungen und an den Nordhängen lag noch meterdick der Altschnee, den wir stets in unsere Wahl der Strecke einbezogen. Laut meiner angelegten Route im GPS-Gerät mussten wir einen steilen Geröllhang queren und über den Pass nahe dem Gipfel der Eggja. Die Spuren im Altschnee verrieten, dass die beiden Engländer wohl die gleichen Daten verwendet hatten. "Das ist totaler Blödsinn", meinte Tobias und warf einen Blick in die Karte. "Wir bleiben noch im Tal und gehen dann den Einschnitt hoch. Das ist viel einfacher und schöner zu gehen." Ich ließ mich umstimmen und tatsächlich war die Streckenwahl so besser. Der warme Bach schlängelte sich durch eine schmale Schlucht, der wir bis auf dem Pass ins Snapadalur folgten. Da die Dunkelheit einsetzte und der Regen inzwischen heftig von der Seite kam, wollten wir noch ein Stück absteigen. Unter den Wolken konnten wir im Süden schemenhaft den Kegel des Dellir ausmachen, der das Panorama beherrschte.
"Lass uns hier zelten", schlug ich angesichts einer ebenen Fläche mit festem Boden vor. Es war zwar nicht mehr weit zum heißen Fluss, aber ob man da so gut zelten kann, wussten wir nicht. Wir zogen gerade den Reißverschluss des Zeltes zu, als der Eisregen loslegte. "Warum haben wir eigentlich immer Pech mit dem Wetter", schimpfte Tobias und ich balancierte unser Campinggeschirr auf dem Kocher im Vorzelt. "Morgen reißt es auf", sagte ich durch den Dampf der heißen Nudelmahlzeit, die ich im Licht meiner Stirnlampe vom Boden des kleinen Topfs kratzte. "Wo du immer deinen bescheuerten Optimismus her nimmst, möchte ich wissen", meckerte mein Kollege.

 ◊

2. Etappe Snapadalur-Gæsavötn [37,5 km]                                                Link zur Kartenansicht

Es prasselte die ganze Nacht und als in den frühen Morgenstunden Ruhe einsetzte, wurde ich euphorisch. Schnell streifte ich mir die Klamotten über und spekulierte auf einen schönen Sonnenaufgang, da der Blick nach Osten frei war. Zu meiner Enttäuschung stieg die Bewölkung kaum an und bedeckte immer noch 8/8. Die gesamte Umgebung war weiß vom Raureif und unser Zelt hatte einen kleinen Eispanzer. Aber die blauen Löcher kamen tatsächlich, daher schnappte ich mir die schwere Spiegelreflexkamera und machte die ersten Aufnahmen von dem bildschönen Geothermalgebiet. Der warme Bach hatte Tunnel mit einer beachtlichen Spannweite in den Altschnee geschmolzen und die Morgensonne sorgte für die richtige Beleuchtung. Aus dem kochenden Pool kam Dampf, der vor dem mittlerweile blauen Himmel und dem weiten Blick ins Tal fabelhaft aussah.

Erst gegen 10 Uhr konnten wir uns von der Gegend lösen, packten zusammen und stapften auf den heißen Fluss zu. In regelmäßigen Abständen standen nun Holzpfähle und wiesen den Weg. Über einen ausgewaschenen Felsen schoss das klare, 35 °C warme Wasser in ein kleines Becken. Definitiv die schönste warme Badestelle, die ich im Isländischen Hochland bisher erlebt hatte. Wir waren völlig alleine, ich saß in der Badewanne und rasierte mich unter dem donnernden Nass. Weitermarsch durch die traumhafte Kulisse des Vonarskarð. Hier gab es einmal eine Piste, die inzwischen nicht mehr befahren werden darf. Alte Autospuren waren noch sichtbar, aber der markierte Wanderweg nahm die schönere und reizvollere Route über die Hügel. Wir durchwateten die Rauðà und genossen die traumhaft offene Landschaft mit dem Blick, der grenzenlos erschien. Der Wind wehte uns um die Nase und wir fühlten uns wieder "draußen", der Kopf wurde frei und die Gedanken reduzierten sich auf ein paar wenige wesentliche Dinge. Dafür lohnte sich so eine Reise. Der Aufstieg zum Parkplatz am Vallafell bot eine derart schöne Aussicht auf das ganze Vonarskarð, dass wir mehrmals innehalten und nur die Natur und die Situation auf uns wirken ließen. Silbern schlängelte sich in unzähligen kleinen Läufen der Fluss durch die große, graue Ebene. "So was kannst Du keinem erzählen", schnaufte Tobias und zeigte mit dem Daumen hinter sich. "Da musst du einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein", sagte ich als er aufschloss.

Am Parkplatz nahmen wir je einen großen Schluck Tullamore Dew, den ich in einer kleinen Plastikflasche im Duty Free kaufte. "Baah, widerliches Zeug", schimpfte Tobias und verzog das Gesicht. "Blöder Banause, bist doch nur beleidigt, weil es keinen schottischen Single Malt gab", konterte ich. Hinter dem Vallafell tauchten die Hniflar-Kugeln auf, wie sie in einigen Reiseführern zu sehen sind. Ein kleines Bächlein querte den Jeep-Track und wir machten Mittagspause mit Spagetti. Selbstverständlich landeten einige der lästigen Fliegen mit im Topf und wurden einfach mitgegessen. Am Nachmittag erwischten uns noch ein paar Schauer in der großen, grauen Ebene. Die Piste bog scharf nach Westen ab und von einer Erhebung aus konnten wir in einiger Entfernung die Gæsavatnaleið-sýðri sehen. Wie auf einer Schnur schaukelten zwei Miet-Jimnys, ein roter Pickup mit Kabine und ein weißer Unimog im Schneckentempo die Straße entlang. Ich stellte die Videokamera auf maximalen Digitalzoom und legte mich auf den Bauch, um die Fahrzeuge aus der Nähe zu betrachten. "4 Feindfahrzeuge in langsamer Querfahrt, Entfernung 2500, Milan feuerbereit, Achtung ich schieße." "Du bist ein Laberkopf, aber wenigstens haste die Hacken abgeklappt", meinte Tobias und musste schon schmunzeln, als ich  "Swuschshshshsh.......Wapff" machte und
"Treffer Feind bekämpft" meldete. Unten an der Brücke gönnten wir uns einen Müsli-Riegel mit Whiskey und genossen das folgende Schauspiel. Alle 10 Minuten kam ein kleiner Miet-Jimny mit einem Softshell-Fjällräven-Pährchen angefahren. Er fuhr, sie stieg aus, rannte auf die Brücke, machte ein Foto vom Wasserfall und hatte es immer eilig, wieder in die geheizte Karre zu kommen. "Mensch, jetzt sitzen wir keine halbe Stunde hier und das ist der dritte. Die haben sich bestimmt abgesprochen", lästerte Tobias. "Und immer die gleiche Leier, ist schon gruselig", fügte ich hinzu. "Am Dettifoss ist es sicher noch schlimmer." Plötzlich hielt ein Isländer mit einem riesigen Fernost-SUV vor unseren Füssen und kurbelte die Scheibe herunter. "Is that Cognac over there?" fragte er und zeigte auf die Flasche neben mir auf dem Felsen. Etwas peinlich berührt verstaute ich die kleine Flasche im Rucksack. "No, that is just Whiskey, Sir", antwortete ich. "Where are you going?". "Geisavöchtn", vermeldete ich. "Ahh, see you there then for some coffee", meinte er. "Are you the owner of the hut?", fragte ich. "Yes." Er winkte und fuhr wohl ein paar Gäste zum Wasserfall. Unser Ziel war noch fast 10 km entfernt und etwas zögerlich machten wir uns auf den Weg. Ein weiterer Isländer passierte uns und bot uns eine Mitfahrgelegenheit an. Auf unsere dankende Ablehnung reagierte er mit Unverständnis und auch seine halbwüchsige, schmollende Tochter, die mit verschränkten Armen auf dem Rücksitz hockte, schaute recht überrascht drein. In ihren Augen konnte man deutlich lesen, dass sie eigentlich schon miese Laune hatte, weil ihre Eltern sie durch diese trostlose Gegend schaukelten. Und da kommen auch noch zwei Fußgänger und finden es prima. Pubertät kann wirklich hart sein... Schließlich tauchte die grüne Oase vor uns auf. Zwei Zelte standen direkt an der Furt. Die Bewohner, ganz offensichtlich aus Deutschland, saßen am Fluss und pumpten mit ihren Trinkwasserfiltern frisches Wasser. Meiner Meinung nach sind die Dinger in Island nicht wirklich nötig. Wir bogen ab, liefen ein Stück den Fluss entlang und schlugen ebenfalls unser Lager auf. Die Wärme das Marsches ausnutzend, wusch ich mich noch in dem klaren Wasser. Es gab dehydrierten Mistfraß zum Abendessen. Zudem war ich froh, von den Beinen herunter in die Horizontale zu kommen. Um Mitternacht prasselte es wieder etwas Regen.

3. Etappe Gæsavötn-Urðarhàls [30 km]                                                      Link zur Kartenansicht

Gegen 7 Uhr warf ich meinen Kollegen aus dem Schlafsack. "Hast du Hummeln im Arsch oder was", meckerte er. "Ich hab doch Urlaub." "Du hast höchsten verpennt, du faule Sau", ärgerte ich ihn. Stöhnend ging er ins Freie, wir machten Haferflocken-Frühstück und bauten das prima leichte, blaue Zelt ab. Ich war froh, schon gegen 8 Uhr wieder unterwegs zu sein. Einer unserer Landsmänner aus der Nachbarschaft rannte zu uns herüber. "Kommt ihr aus Skogar?" wollten er wissen. "Ne, kommen nur aus Nidalur", antwortete ich. "Ach, ihr macht wohl schön easy", meinte der junge Kerl und wünschte uns noch viel Glück. Wir fühlten uns wie die Looser, die mit der halben Strecke hier auf Hochlandwanderer machen und eigentlich beschissen haben. Tobias und ich brachen auf, liefen die erste kleine Steigung und staunten über den herrlichen Ausblick auf das zentrale Hochland der Insel. Der flache Kegel der Trölladyngja beherrschte das Landschaftsbild. "Guck mal da oben", tippte ich Tobias an und zeigte auf einen kleinen weißen Streifen in der Lava. "Das ist der Pickup von gestern", bemerkte er richtig. "Hast wohl doch nicht getroffen..." Durch ein großes Lavafeld und ein paar kleine Bäche schlängelte sich die Piste mit dem einmaligen Panorama. Oft kam man dem Gletscher sehr nahe und spürte den kalten Hauch, den der Südwest über das Éis wehte. Inzwischen fuhr hinter uns in der Ferne der rote Pickup los und brauchte fast eine Stunde um aufzuschließen. Die Isländer winkten und fuhren langsam vorbei. Sie brauchten eine weitere Stunde, um außer Sichtweite zu kommen. Die Piste schlängelte sich hier nämlich über einige Buckel und Lavafelder. An einer sandigen Furt füllten wir die Wasservorräte auf, da es unter Umständen erst wieder in Dreki welches geben würde. Zum Kochen filterten wir noch etwas durch meine Nylon-Turnhose. Tobias schaute etwas skeptisch drein. "Komm stell dich nicht an, das Ding ist frisch gewaschen und hat noch keine Bremsspuren." "Ganz im Gegensatz zu deiner verschissenen Buchse", fügte ich hinzu. "Na und, wegen dem dehydrierten Nudelschrott kacke im eben nur noch weich und gelb", wehrte er sich. "Komm, das schwarze Wahnsinnsding, das du am ersten Tag aus dem Kreuz geschoben und hinter den Felsen gelegt hast, war ja wohl jenseits von Gut und Böse. Abstreiten zwecklos, ich hab es bei meiner Foto-Session entdeckt", ließ ich ihn wissen. "Von mir aus kannst du ruhig mehr Flugzeuge als ich haben und auch eine geilere Karre fahren als meine. Aber seit du von uns beiden die größeren Haufen produzierst, bekomme ich echt Komplexe und schlafe schlecht", drohte ich. "Du spinnst doch, übrigens habe ich nur die eine Unterhose dabei und die anderen dummerweise vergessen", erhielt ich zur Antwort. Ich musste ein wenig schadenfroh lachen. Der Kistufell war schon deutlich vor uns zu sehen und verriet uns stets die Distanz, die noch vor uns lag. Ein kleines Altschneefeld diente offenbar einigen Trekkern als letzte Wasserquelle. Die Fußspuren endeten einige Meter entfernt, was auf ein schnelles Schmelzen hinwies. Auch wir ergänzten unseren Wasservorrat und schafften es, einen weitern Liter abzufüllen. Vor der Schutzhütte machten wir eine längere Pause und unterhielten uns über die Umgebung. "Ich würde wirklich gerne mal auf den Kistufell rauf", schwärmte ich. "Eine Überschreitung von West nach Ost wäre von hier aus cool", ergänzte mein Kumpel. Tatsächlich hätte man die ganze Zeit einen schönen Blick auf den Gletscher und ins Hochland. Ich nahm mir die Tour für das nächste Mal vor. "Morgen müssen wir in Dreki sein", erinnerte ich an unseren Zeitplan. Wir schulterten unser Gepäck und stapften los. Ein spanisches Pärchen kam auf MTBs angeradelt und schimpfte über den Sand im Norden. Aber beide behielten gute Laune und radelten winkend weiter. Kurz darauf erblickten wir in der Abendsonne den Urðarhàls und Tobias konnte es nicht fassen: "Ich habe noch nie ein so großes Loch gesehen", schwärmte er. Es beeindruckte, an der Steilkante zu stehen und die große Leere vor sich zu sehen. Mein Kollege warf Steine in den Krater und lauschte dem Echo. "Lass den Scheiß, wenn jeder hier Steine wirft, ist das Ding irgendwann voll und kein Loch mehr", versuchte ich ihn davon abzubringen. "Schau es dir doch einfach nur an und freue dich drüber und hinterlasse es wie es ist", probierte ich es erneut. Schließlich ließ er ab und wir schlenderten bei totaler Windstille das Geröllfeld hinunter. Eine dreiköpfige, tschechische Familie lief uns entgegen und fragte, wie weit es noch bis zur Hütte wäre. "At least one hour, but more like two", antwortete ich. Enttäuscht trotteten sie weiter. "Offensichtlich waren die fertig von der Etappe heute", mutmaßte ich ein Stück weiter. "Ich finde das trotzdem cool, wenn Leute so etwas aus eigener Kraft machen und nicht mit einem Monsterkarren hier auffahren", antwortete Tobias. "Vorsicht Mann, ich fahre auch gerne mit meiner Monsterkarre durch Island", bremste ich ihn. "Du, du bist ja auch der Allerschlimmste. Du erzählst doch bestimmt in der Kneipe und bei deinen Arbeitskollegen, was du für ein cooler, abenteuerlicher Typ bist, weil du hier irgendwelche Strassen entlang geholpert bist. Dabei hast du dir in deiner geheizten Luxusbude nur die Eier geschaukelt", ging er ab. "Naja, es ist auch nicht ohne, so 'ne Mühle über die Pisten zu schrubben...", fing ich an. "Genau, das meine ich, ihr Helden bildet euch auf die Fahrerei hier auch noch etwas ein, pah ich lach mich tot." Er war nicht zu bremsen. "Am liebsten würde ich hier mal mit einer Ente entlangfahren, nur um es den ganzen Sandkastenrockern zu zeigen", beendete er die Schimpftirade. "Krieg dich wieder ein, ich bin doch zu Fuß hier und mein Rucksack wiegt 2 kg mehr als deiner", versuchte ich ihn zu besänftigen. "Ja, weil du auch so viel überflüssigen Mist mitschleifst", fing er wieder an. "So wie zwei Reserve-Unterhosen?" antwortete ich und brachte ihn dann doch zum Schweigen. "Wenn du brav bist, schenke ich dir morgen eine", beendete ich grinsend das Gespräch. Wir zelteten direkt an der Grenze zum Schwemmland neben dem Schild. Die Italiener von "Dimensione-Avventura", die ich letztes Jahr auf dem Campingplatz in Dänemark traf, hatten ihren Werbeaufkleber darauf hinterlassen. "Pasta Dimensione Avventura", kommentierte ich mit typischer italienischer Handhaltung lauthals unser Abendessen und rührte im Blechtopf. Tobias war ob dieses Insiders etwas verwirrt und schüttelte den Kopf. "Im Unimog gäbe es jetzt Lammkoteletts mit Bratkartoffeln und grünen Bohnen", verteidigte ich mein Gefährt. "Dazu einen schönen kräftigen und trockenen Rotwein." Er verzog etwas denn Mund und schielte abfällig dem Trekking-Nährschlamm am Boden des Blechtopfes entgegen. Der Whiskey bekam noch ordentlich auf den Deckel.

4. Etappe Urðarhàls-Dreki [42 km]                                                              Link zur Kartenansicht

Regengeprassel riss mich aus dem Schlaf. Es war 6 Uhr und ich drehte mich noch einmal herum. Ich hatte keinen Bock jetzt alles nass werden zu lasen. Aber wir mussten heute Abend in Dreki sein und hatten eine ordentliche Etappe vor uns. Um 7 Uhr schälte ich mich aus der Daunenröhre, was Tobias mit Kopfschütteln kommentierte. "Komm, wir nutzen die Regenpause zum Zusammenpacken", verfehlte seine Wirkung. Erst der Kaffeegeruch erzielte den gewünschten Erfolg. "Oh Mist, Warmfront im Anmarsch", beurteilte Tobias die Schäfchenwolken und streckte sich ausgiebig. "Meine Rede, nimm den Finger aus dem Arsch und komm in Schweiß. Arme kreisen propellerartig und Füße berühren den Boden nur noch zur Richtungskorrektur", foppte ich meinen Partner. Er verdrehte die Augen, erklomm den kleinen Hügel und blickte in Marschrichtung. "Ganz schönes Stück zur Askja", meinte er. "Na dann los." Schon um halb 8 Uhr betraten wir das flache und trockene Schwemmsandgebiet am Gletscher. Die verschiedenen Sedimente vom Vatnajökull marmorierten den Boden und durchzogen die ganze Ebene mit kleinen Wasserkanälen, die jedoch leer standen. "Sieht aus wie Tiramisu-Eiskrem" rief ich zu Tobias rüber. "Stimmt", nickte er. Wieder nahm ich die Fingerspitzen der rechten Hand zusammen und bewegte sie vor dem Gesicht vor und zurück. "Gelatti Dimensione Avventura", gestikulierte ich. "Was hast du eigentlich immer mit deinen Italienern?" fragte er verwirrt. Der Sander gab sich glatt und hart wie Beton und Tobias diskutierte mit mir die Möglichkeiten, mit dem Flieger darauf zu landen. Wir machten ordentlich Strecke und sahen in einiger Entfernung wieder den roten Pickup, der hinter einem Felsen rastete. "Also hier schlägt die Infanterie eindeutig die Kavallerie", bemerkte ich. Wir liefen die Piste weiter und die Familie winkte zu uns herüber. Mit mindestens 100 Sachen bretterten sie kurz darauf an uns vorbei. Inzwischen tauchte auch der Herðubreið hinter das Askja auf und ich genoß das Raumgefühl, welches sich aufgrund der weithin sichtbaren Berge einstellte. Die Konstellation aus Trölladyngia, Kistufell, Askja und Herðubreið änderte sich im Laufe des Marschtages langsam und man spürte am ganzen Körper, wie das Vorankommen eines kleinen Menschen in der enormen Umgebung doch begrenzt ist. Strahlend weiß leuchteten die Kverkfjöll herüber und die krassen Gegensätze aus schwarzer Wüste und weißem Gletscher sahen schlicht atemberaubend aus. An der Kreuzung zur F910 rasteten wir und kochten hinter einem Lavabrocken unser Mittagessen. Der Wind wehte feinen, schwarzen Lavasand herüber. Es knirschte zwischen den Zähnen und Tobias sah aus wie ein Kohlearbeiter.

"Bloß nicht dran herum reiben, einfach Mund zu und in Ruhe lassen", sagte er. Von der trockenen Luft bekam ich Nasenbluten, was auch mein Gesicht verwegen aussehen ließ. Durch den weichen Sand erkämpften wir uns die Askja. Wir liefen in der Ebene mit mehreren Kilometern Abstand und hielten trotzdem Sichtkontakt. Ich erreichte gegen 19 Uhr Dreki, setzte mich auf die Holzveranda des Waschhauses und leerte den Tullamore Dew bis auf den Rest, den ich Tobias bei seiner Ankunft zugestand. Meine Knie und Sohlen schmerzten. Hoppla, ich werde alt. 2003 hatten wir noch größere Distanzen gemacht und da hatte ich das noch einfach weggesteckt. Mit 36 Lenzen klopft offensichtlich schon der körperliche Verfall an. Ich schob das auf den schweren Rucksack und schaute nach meinem Kameraden. Nichts war zu sehen, daher meldete ich mich in Dreki und bezahlte schon mal das Zelt. Die Hüttenwirtinnen waren wegen dem Blut und Staub in meinem Gesicht zunächst etwas irritiert und fragten besorgt nach meinem Wohlergehen. Ich ging wieder vor die Tür, setzte mich auf die Bretter und wartete darauf, dass sich mein Begleiter über den Horizont schiebt. Wie im Wilden Westen kam er angehumpelt und offensichtlich fühlte er sich auch nicht mehr ganz frisch. "Fuck... Ass, ich bin ein alter Knacker." Mit einer Bewegung streifte er den Rucksack herunter, ließ sich neben mich fallen und leerte die Whiskeyflasche. "Pfui Teufel, ist das widerlich", stöhnte er. "Du brauchst es ja nicht zu saufen", antwortete ich. "Ich merke ganz schön meine Knochen", jammerte Tobias. "Komm wir gehen heiß duschen. Ich habe schon Münzen besorgt", schlug ich vor. Er war als erster an der Reihe und kostete die 5 Minuten heißes Wasser natürlich voll aus. Ich stand mit meinem Handtuch und frischer Wäsche unter dem Arm vor der Tür und wartete darauf, dass er fertig würde. Zwei Spanier stellten sich dazu und brauchten eine ganze Weile, um festzustellen, dass ich ebenfalls anstand und es vermutlich weitere 5 Minuten dauern wird. Genervt verzogen sie das Gesicht und setzten sich wieder in ihr Auto. Die Dusche machte einen neuen, rasierten und nach rosa Schweinchen riechenden Menschen aus mir. Wir kochten, entsorgten unseren Müll und fielen erschöpft in den Schlaf.

 

5. Etappe Deki-Dyngjufjalladalur [25 km]                                                   Link zur Kartenansicht

Erstmals in diesem Urlaub schliefen wir aus und standen erst gegen 9 Uhr auf. Da alle Mitglieder der gestern eingetroffenen spanischen Reisgruppe pünktlich ihr Frühstücks-Ei gelegt hatten, stieg die Durchschnittstemperatur der nahen Sickergrube. Die Wärme bedingte, darauf einsetzende Konvektion durch die Entlüftungsrohre direkt hinter unserem Zelt, entschärfte so das nun schon Tage dauernde Bedürfnis nach einer anständigen Mahlzeit. "Guck dir die dekadenten Weicheier in den sauberen Klamotten an", begann mein Kumpel über die motorisierten Gäste zu lästern. "Die haben gestern nur einen einzigen Schritt gemacht, nämlich den aufs Gaspedal", kotzte er. "Wenn die in zwei Wochen die Familie zum Bildervortrag langweilen, erzählen die bestimmt, dass man Allradantrieb braucht, um hier zu stehen. Dabei braucht es noch nicht mal Räder", lachte er. "He, ich war hier letztes Jahr auch mit dem Unimog", bezog ich wieder einmal die Gegenposition. "Und in 20 Jahren schaffst du das auch nicht mehr ohne", warnte ich. Ich schnappte mir meine Kaffeetasse und lief zu dem roten Feuerwehr-Unimog, der ein Stück entfernt parkte. Mit dem deutschen Pärchen tratschte ich eine ganze Stunde und Tobias schaute schmollend zu uns herüber. Es war ein unheimlich nettes Gespräch und die beiden waren auch begeisterte Island-Unimog-Fahrer wie Ulli und ich. Sie wollen durch das Dyngjufjalladalur fahren und möglicherweise trifft man sich ja wieder.

Um 11 Uhr kamen wir endlich in die Gänge. Die heutige Etappe war zwar nicht lang, aber enthielt zwei Pässe. Der bekannte Anstieg zum Pass ist landschaftlich sehr reizvoll. Ich kannte es noch von letzten Jahr, aber Tobias sah das zum ersten Mal und nahm sich ausgiebig Zeit zum Fotografieren. Zwei kleine Mädchen ließen sich stolz von ihren Eltern beim Stemmen von großen Lavabrocken ablichten. Auf dem Pass wartete ich darauf, dass mein Begleiter endlich eintreffen möge. "Man Du schleichst aber heute", kommentierte ich sein verspätetes Erscheinen. Der Ausblick auf den See war wunderschön. Am Ufer entlang erreichten wir schnell den kleinen "Viti" und beobachteten eine ganze Horde Urlauber beim Baden. Tobias hatte auch keine Lust, sich dazu zu gesellen und so schlenderten wir zum Parkplatz. "Mensch, das letzte Mal, als wir hier waren, lag noch 2 m Schnee", bemerkte er neben mir. Direkt am Parkplatz begann der Pfad nach Nordwesten durch die junge, scharfkantige Lava. "Pass bloß auf, hinfallen bedeutet hier Schnittwunden", warnte ich Tobias. Wir nahmen jeweils einen Stock als Balancierhilfe. Der Track ist zum Glück in der berühmten Islandkarte, die alle Islandreisenden in ihrem GPS-Gerät haben, enthalten. Unser Dank gilt eindeutig dem Erschaffer dieser überaus wertvollen Ansammlung von Informationen. In der höchsten Auflösung ist auch zu erkennen, dass die "Vorleger" dieser Strecke, die Rücken des erstarrten Lavaflusses geschickt ausnützten. In der Ferne erschien ein Wegweiser, unter dem wir unsere Mittagspause machten. Fortan würden wir im Schnee weiterlaufen. Tobias zwickte die Augen zusammen und meinte: "Mist, habe wieder mal keine Sonnenbrille dabei. Lass uns schnell über den Pass kommen." Am Rand der Askja-Caldera folgten wir dem unmarkierten Pfad nach Westen. Hinter uns zog das Wetter von Süden herauf und über dem See begann es zu regnen. Wir befanden uns aber weiter im gleißenden Sonnenlicht. "Das wird uns einholen", prophezeite mein Kollege und deutete mit dem Daumen hinter sich. Den kurzen und steilen Anstieg machten wir im T-Shirt. Die ganze Askja befand sich inzwischen im schlechten Wetter und nur wir schienen zufällig die letzten Sonnenstrahlen für uns zu haben. Über dem See spannte sich ein herrlicher Regenbogen. Der plötzliche Regenschauer riss uns aus dem Staunen und wir streiften die Regensachen über. Die Sicht ging auf 30 m zurück und Wind kam auf. Der Verlauf des Pfades war aber eindeutig und es fanden sich sogar wieder Markierungen. An einigen Stellen richteten wir uns auch nach dem GPS und schon wenig tiefer war der Blick nach Norden frei. "Wahnsinn, da wird dir erstmal klar, dass die Askja innen richtig hoch ist", kommentierte Tobias den Ausblick. Es goss immer noch heftig. Der Wind blies den Niederschlag zu uns herüber, denn eigentlich standen wir wieder im Sonnenlicht. Der Vorhang aus dicken Tropfen glitzerte um uns herum. Das Ganze überragte ein fast lächerlich intensiver Regenbogen am Horizont. Dieses absurde und recht zauberhafte Schauspiel begleitete uns für die nächste Stunde. Erst als wir über eine steile Kante nach Westen abstiegen, wurde es wieder trocken. Die nun tief stehende Sonne schuf ein traumhaftes Gegenlicht und tauchte die schroffen Hänge des Dyngjufjalladalur in Orange.

 

Einen schönen Felsvorsprung nutzten wir für unsere Aufnahmen. Unten im Tal war die Dyngjufell-Hütte schon zu sehen. Wieder benutzte ich die Videokamera als Fernglas und entdeckte einen einzelnen Wanderer, der auf der Bank davor saß. Wenig später unterhielten wir uns mit dem Franzosen. Er hatte soeben mit der Durchwanderung von ganz Island begonnen und wollte in 12 Tagen in Skógar sein. Er war ein sympathischer Geselle und wir unterhielten uns nett bis es dunkel war. Die Hütte benutzten wir nicht, da laut Buchungsliste einige Betten reserviert waren. "Ich hab keinen Bock auf eine Gruppe Wanderer, die um 22 Uhr hier aufkreuzt und uns rausschmeißt", argumentierte Tobias und auch der Franzose pennte hinter der Hütte. Der Wind, der zunächst ordentlich am Zelt rüttelte, flaute glücklicherweise im Laufe der Nacht wieder ab.

6. Etappe Dyngjufjalladalur-Sellandafjall [34 km]                                     Link zur Kartenansicht

Ich stand früh auf, um in dem nahen Bach zu baden. Das ist immer eine schöne Sache, sich ganz einseifen, um dann kurz in dem kalten Bach komplett abzutauchen. Ordentlich frisch gemacht, warf ich meinen Partner aus dem Zelt. So ist das eben, einer hat die Initiative und der andere rechnet damit. Auf dem Felsen löffelten wir unsere Haferflocken. Der Franzose kam auch in die Gänge und wir winkten ihm: "Bon jour, monsieur." Dann wandte er sich nach Süden den Berg hinauf und wir liefen nach Norden das Tal herunter. "Bon voyage", riefen wir hinterher. "Merci beaucoup", lachte der Kleine und hielt beide Wanderstöcke am ausgestreckten Arm in die Höhe.

Der weitere Weg war recht eintönig. Interessant fand ich aber die stetige Zunahme der Vegetation, die an der Hütte praktisch noch nicht vorhanden war. Tobias und ich sprachen, wie meistens, über Flugzeuge, um uns die Zeit zu vertreiben. Wir folgten einfach dem Jeep-Track und hatten manchmal richtig Mitleid mit den Autofahrern, da es häufig über Lavafelder mit hohen Stufen ging, wo man sich seinen Weg etwas suchen muss. Auf der Piste lagen haufenweise Autoteile. Wir fanden Stoßdämpfer, Spritzlappen, einen Spurstangenkopf, Reifenfetzen, Auspuffrohre, einen Auspufftopf und diverse undefinierbare Blechteile. Tobias entdeckte eine 12-er Mutter und kurz darauf die dazu passende Schraube. "Mensch, da bekommst du sogar heraus, in welche Richtung der gefahren ist", frohlockte er. "Jedenfalls scheint das die Fahrzeuge ganz schön zu abzunagen, so viele Teile haben wir bisher nirgends gefunden", ergänzte ich. Um Mittag tauchte im Regen vor uns die Hütte Botni auf, die von einem belgischen Paar als Unterstand oder besser als Verhandlungssaal benutzt wurde. Die beiden diskutierten, ob sie noch weiter zur Askja laufen sollten oder nicht. Natürlich war er dafür und sie dagegen. Tobias und ich kochten währenddessen unser Mittagessen. Sie fragten uns über die Strecke, und wir versorgten sie mit allen Informationen. Interessant, wie beide sämtliche Angaben über Laufzeiten, Schneehöhe, Passhöhe und Distanz für ihre jeweilige Verhandlungsposition nutzten und sich in ihrer Sache bestätigt fühlten. In welche Richtung sie ihre Reise fortgesetzt haben, erfuhren wir nie. "So langsam könnte das Scheißding doch etwas leichter sein", schimpfte mein Kumpel, als er sich den Rucksack zum Weitermarsch umschnallte. Nach etwa 1 Stunde sahen wir in der grüner und grüner werdenden Gegend die ersten Schafe. Es roch wieder nach Island. Die Kräuter, das Meer und vielleicht eine Ahnung Schwefel... Ein heftiger Regenschauer tauchte die Umgebung in ein graues, unwirtliches Licht. Wie im Film tauchten drei Gestalten im Nebel vor uns auf. Die Vermummten kamen uns auf dem Pfad entgegen. Es waren drei junge Franzosen, die sofort stehen blieben und sich nach dem Weg erkundigten. Ihrer noch recht spärlichen und struppigen Gesichtsbehaarung zufolge waren sie nur wenig älter als 20 Jahre. Aber alle drei verkündeten stolz, in 14 Tagen in Skógar sein zu wollen. Als die drei im Regen verschwanden, polterte ich heraus: "Mann, schau dir die drei jungen Franzosen an. Von wegen, die Jugend von heute hat nichts mehr drauf..." "Schon cool, wenn die das durchziehen", fügte Tobias hinzu. Uns beeindruckten die drei jedenfalls und wir hielten ihnen die Daumen und wünschten ihnen, dass der Winter sie nicht einholen möge. "Die ganzen Franzmänner zeigen uns ganz schön, wo der Hammer hängt. Die laufen jeweils die volle Distanz", sagte Tobias einen Kilometer weiter. "Wir gammeln hier mit der halben Strecke herum", bestätigte ich seine These. "Komm, wir hatten auch eine geile Tour mit vielen landschaftlichen Highlights und außerdem waren wir schon im Süden", entschärfte Tobias unsere Selbstkritik. Eigentlich wollten wir bis an den seit Tagen sichtbaren Sellandfjall laufen, der die Landschaft überragte. Aber an einem kleinen Fluss fand sich eine perfekte Stelle zum Zelten und so nahmen wir einen Kilometerkredit für den nächsten Tag auf und verkrümelten uns ins Zelt. Später am Abend gesellten sich noch zwei Mädels hinzu und campierten ebenfalls an dem Fluss.

7. Etappe Sellandafjall-Myvatn [38 km]                                                      Link zur Kartenansicht

Die Zivilisation lockte und erstmals hatte ich keine Probleme, meinen Kameraden aus dem Bett zu bekommen. Ruck, zuck waren wir wieder unterwegs und winkten den Mädels, die neugierig die Nase aus dem Zelt steckten. "Nein, wir labern nicht mit denen, sonst müssen wir wieder feststellen, dass ganz Europa hier runterwandert und wir nur die Kindertour machen", dachte ich mir. Die gut 200 km wollte ich einfach nicht als "Halbe Portion" deklassiert wissen. Schon gar nicht mit den vielen schönen Eindrücken und Erlebnissen, um die es uns eigentlich ging. Die letzte Etappe könnte zum Abschluss auch lang werden, und so hatten wir es eilig. Die ersten Kilometer gingen ohne Vorkommnis an uns vorbei. Wir liefen inzwischen durch eine grüne Wiese, die bis an die Sichtgrenze von einer sandigen, dunklen Fahrspur durchzogen wurde.

Ausgiebig widmeten wir uns wieder unserem Thema Flugzeuge, Aerodynamik, Kunstflugfiguren und wie wir gewisse Täler hier entlang heizen würden. In der Ferne hörten wir einen Geländewagen, der hinter uns langsam näher kam. Als echter und braver Deutscher schielte ich nach dem Nummernschild und ließ den Toyota aufschließen. Gleichzeitig traten wir auf die Seite und machten Platz. Das deutsche Paar hielt an und begann: "Hello, do you need anything?" "Grüß Gott", antwortete ich und blickte in zwei sich überrascht aufhellende Gesichter. "Fehlt es euch an irgend etwas?" fragt die Beifahrerin freundlich. "Klar, Schweinsbraten mit Knödel und Weizenbier", antwortete ich. Beide lachten herzlich und meinten: "Sorry, ist uns gerade ausgegangen." Ich bedankte mich trotzdem der Nachfrage und sie fuhren weiter bis an den Horizont. "Ist schon krass, wie weit man hier immer gucken kann", sagte Tobias dem Geländewagen hinterher, den wir nach einer halben Stunde immer noch sahen. Wir öffneten zwei Gatter und schlossen sie hinter uns wieder. Von einer kleinen Anhöhe aus konnten wir kurz darauf unser Ziel, den Myvatn, ausmachen.

Tobias lief mit beiden Stöcken und klagte über Schmerzen in den Knien. Ich musste dafür eine Stunde auf ihn warten. Er quälte sich regelrecht der Farm entgegen, die wir am Nachmittag erreichten. "Mann, jetzt noch die olle Ringstrasse bis hoch ins Kaff", meckerte er. "Wie weit ist denn das noch?" "So um die 10 km", antwortete ich grinsend. Er schluckte und wir trabten weiter. Ich machte mir einen Spaß daraus, die Gesichter der Autofahrer zu beurteilen. Es wechselte stets zwischen Unverständnis und Mitleid und ein Muster konnte ich nicht erkennen. Etwa auf halbem Weg erwischte uns ein ordentlicher Regenschauer. Eine offensichtlich etwas verwirre Frau kam laut singend auf einem Fahrrad aus dem grauen Vorhang gefahren und radelte an uns vorbei. Wir konnten sie noch 5 Minuten lang hören, obwohl sie längst im Regen verschwunden war. Eine eigenartige Situation und ein bemerkenswerter Empfang durch die Zivilisation. Wir fühlten uns abgelehnt und deplatziert. Die Strecke zog sich und wir liefen, die Zähne zusammen beißend, unserem Hamburger mit Pommes Frites entgegen. Tobias blieb wegen seiner Knie immer weiter zurück. So erreichte ich als erster den Campingplatz in Reykjahlid, bezahlte und baute das Zelt auf. Erst mit hereinbrechender Dunkelheit konnte ich vom Rasen aus meinen Reisegefährten auf der Strasse oben erkennen. Ich winkte ihn herunter zu unserem blauen Zuhause. Er war denkbar schlechter Laune und jammerte über seine Pein. "Warum haben wir denn in Vogar nicht schon was gegessen und warum lasse ich mich immer auf deine beschissenen Gewaltmärsche ein?" ging er auf mich los. "Ich hab' Urlaub, muss bald wieder arbeiten und bin schon 15 Jahre nicht mehr beim Bund", schimpfte er mit zusammen gezwickten Augen. "Mach dich locker, 38 km packt jeder Wochenendwanderer, Infanterie ist ab 50 km", entgegnete ich. "Ja, du Laberkopp, aber ohne 20 kg auf dem Buckel und mit was Anständigem im Magen", motzte er zurück. "Der Weg zu Jesus führt über Hingabe und Leid", erinnere ich ihn etwas sarkastisch. "Du kannst mich mal mit deinen dämlichen Sprüchen", kam es zurück. Aber ich kenne meinen Kumpel und wußte, dass mit dem ersehnten Hamburger die gute Laune wiederkehren würde und er ohnehin nicht zum Ausrasten neigt. Schnell gingen wir rüber zum Supermarkt und bestellten zwei Doppelcheeseburger mit Pommes. Tobias, der mich früher immer zu langsamem Essen gemahnt hatte, schlang das beachtliche Stück amerikanischer Esskultur in Null Komma nichts in sich hinein und grinste zufrieden. "Glaubst du, dass ich noch nie so einen geilen Burger gefressen habe?" sagte er noch. Ich hatte zu dem Zeitpunkt höchstens die Hälfte verdrückt und zwang mich zur Zurückhaltung. Die Kartoffelstreifen und das schwarze Malzbier gaben uns noch den Rest. Mit Handtüchern unter dem Arm gingen wir zum Waschhaus und duschten heiß. "Morgen ist Ruhetag, das sage ich dir", kam es vor dem Einschlafen noch aus dem Schlafsack.

 

Hier gibt es die Tracks und Wegpunkte der Wanderung

 

Ruhetag am Mývatn [21 km]

Wir schliefen aus und überquerten gegen 9 Uhr die Strasse zur Tankstelle. Vorher besorgten wir uns noch die Bus-Tickets für den nächsten Tag. Die Tour saß uns noch in den Knochen, daher verschlangen wir einen riesigen Kuchen und konnten von dem ehrlichen Bohnenkaffee gar nicht genug bekommen. "Komm, wir nehmen einen Bus hoch in das neue Schwimmbad", schlug ich vor. "Du faule Socke, da laufen wir ja wohl hin", meinte Tobias. "Und deine Knie und überhaupt von wegen Ruhetag und so?" fragte ich. "Pah, ist doch nicht weit", antwortete er. Wie schnell manche Vorsätze doch verfliegen können, dachte ich mir. Es war eine goldrichtige Entscheidung und ohne den Rucksack herrlich entspannend. So erreichten wir das "Myvatn-Nature-Bath" vergleichsweise früh und hatten es eine ganze Stunde für uns allein. "Das Teil ist viel besser als die olle Blaue Lagune", sagte Tobias und bewegte genüsslich die Knie in einem der wärmeren Becken. Das blaue Wasser war bestens und wir genossen die Entspannung der geschundenen Beine und Füße. Selbst ein Dampfbad hatte es, und bei einer Außentemperatur von 10 °C mit anständig Wind gibt es nichts Besseres. Zum Auskühlen setzten wir uns stets auf die Holzbank auf der Veranda und genossen den Blick auf den Mückensee.

Schließlich traf ein Bus voller Spanier ein, die in kleinen Gruppen das Bad stürmten. Tobias und ich beobachteten das Schauspiel vom Logenplatz aus, dem kleinen Pool neben der Eingangstreppe. Die Hispanos traten jeweils ins Freie, liefen auf Zehenspitzen die Betontreppe herunter und riefen: "Frio, frio, frio." Da sie es wegen der Kälte immer recht eilig hatten, ignorierten sie stets die Warnhinweise, rutschten am Beckenrand aus und fielen auf den Hintern. Dann ruderten sie mit den Armen und riefen: "Calliente, calliente, calliente", und schwammen in das Becken hinaus. Die jeweils folgende Gruppe war daher nicht gewarnt und es ereilte sie dasselbe Schicksal. Wir grinsten zunächst nur und da sich die Vorstellung kurz darauf wiederholte, lachten wir unterdrückt. Als aber der 20. Spanier auf diese Weise das Becken betrat, konnte ich mich ob der Lemming-Vorstellung nicht mehr beherrschen und bekam einen Lachkrampf im warmen Wasser. Mein Bauch schmerzte und ich rang nach Luft. Die Leute starrten mich besorgt an, aber mein Kumpel winkte entschärfend ab. Gegen Mittag hatten wir genug und wanderten die Wege an der Grjotagia entlang nach Vogar. Schließlich wollten wir die Imbissbude doch noch ausprobieren. Die Pizza war ausgezeichnet und wir gönnten uns ein richtiges Bier. "Ich brauch' noch einen Troll für meine Freundin", sagte mein Kollege nach dem Essen. "In Dimmuborgir gibt es jetzt einen neuen Souvenir-Shop", ließ ich ihn wissen. Wir marschierten am Hverfell vorbei, um dort einzukaufen. Unterwegs sprachen wir über die Fertigungsmethoden einer Dural-Kabine für Expeditionsmobile und deren Integration in einen verwindungsfähigen Fahrzeugrahmen. Ganz ins Gespräch vertieft erreichten wir schließlich den Shop und mein Kumpel bekam seinen Troll. Ich fand ein richtig niedliches isländisches Buch über Trolle mit allerliebsten Illustrationen. Mein Mitbringsel für Ulli war also auch gefunden. "Ich habe gar keinen Bock, diese dämliche Strasse zurück zu laufen", nölte ich herum. "Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an und außerdem sitzen wir morgen den ganzen Tag im Bus", meinte mein Kollege. Wir schlappten zurück und stellten fest, dass wir für einen Ruhetag ganz schön Strecke gemacht hatten und unsere Vorsätze nichts wert sind.

 

Busreise zurück nach Reykjavik

Pünktlich standen wir am Busterminal, saßen auf und fuhren los. Es schüttete wie aus Eimern und wir schauten uns gegenseitig an und dachten dasselbe. "Gott sei Dank müssen wir da jetzt nicht raus." Der Bus hielt noch am Aldeyjarfoss und rappelte die Sprengi runter. Wieder genoss ich die Tatsache, dass hier fremdes Material gequält wurde. Soll das Waschbrett doch den ganzen Bus zerhämmern. Ich hatte bezahlt und die notwendigen Reparaturen waren schließlich im Fahrpreis umgelegt.

Mit uns hockten noch 5 weitere Reisende im Bus. Die Mehrheit waren Deutsche. Ruck, zuck war Nýidalur erreicht, da wieder ausgiebig über Leichtbau diskutiert wurde. In der kurzen Pause dachten wir beide an unseren Aufbruch vor einer Woche. "Da sind wir raus gelaufen", meinte Tobias und zeigte das Tal entlang. "Das war bei dem gleichen Wetter wie heute", antwortete ich. "Hättest du gedacht, dass es noch so schön wird?" fragte ich. "Nee, damals nicht. Es war aber eine schöne Tour", gestand Tobias. Die übrige Piste verging bei unserem technischen Dummgelaber wie im Flug. In Hrauneyjar stiegen die Gäste wieder um und ich besorgte Sandwiches. Der ganze Bus ging pinkeln. Neben dem Klo stand eine durchsichtige Sammelbüchse mit der Aufschrift "Toilet 100 Kr". Als ich nach sämtlichen anderen Passagieren das Gebäude verließ und in den schon laufenden Bus einstieg, lag in dem Behälter nur eine einzige Münze - meine. Die Hekla überragte majestätisch das Umland. Insgeheim wünschte ich mir einen sofortigen Ausbruch. Wäre das toll, jetzt die Brocken fliegen zu sehen. Aber es blieb den Isländern erspart und mir wurde es nicht vergönnt. An der Südküste herrschte allerbestes Wetter. Bei wenig Wind und wolkenlosem Himmel hingen sogar Gleitschirme über den steilen Felsen. Kleinflugzeuge brummten hin und her und überhaupt war draußen viel los. Reykjavik schien im Sonnenlicht aufzublühen. Wir sprangen aus dem Bus, bedankten uns und latschten Richtung Campingplatz. Ich fing an, Ulli richtig zu vermissen und konnte unsere Heimreise am nächsten Tag kaum abwarten. "Wenn die mit unserem Rückflug wieder Scheiße gebaut haben, krieg ich zu viel", vermeldete ich. "Ach wir kommen schon heim", ermutigte Tobias uns beide. Nachdem das Zelt aufgebaut war, trotteten wir noch rüber zum Schwimmbad, da es dort eine Hotdog-Bude gab. Alle Isländer, die mit nassen Haaren aus dem Bad kamen, kauften sich bei dem freundlichen Mädchen ein Würstchen. Wir holten uns zum Dinner auch noch zwei der Mopeds und spülten sie mit dem geliebten Malzbier herunter.

Reykjavik und Rückflug

"Komm, wir stehen auf, bevor die ganze Horde auf den Nassbereich losgeht", stieß ich meinen Nachbarn an. "Genau, schnell durch und weg hier", sagt er und wir liefen in der aufgehenden Sonne über die Wiese und duschten. Das Gepäck verblieb im aufgebauten Zelt und wir nahmen nur unsere Kameras und die Brieftaschen mit in die Stadt hinein. Das Wetter war traumhaft und traditionell schlappten wir erst einmal zum Hafen. Der Himmel und die See versuchten, sich gegenseitig mit ihrem Blau zu überbieten. Bunt lagen die Schiffe auf der glatten, spiegelnden Fläche.

 Plötzlich bogen die zwei Engländer vom ersten Tag um die Ecke. Ich freute mich über den Zufall, war aber nur mäßig überrascht. In Island trifft man sich immer mindestens zweimal. "Did you finish your trip?" fragten sie. "Yes, thank you. It was awesome", schwärme ich. "Did you have good weather?" fragen sie. "All the way up. The rain started when we stepped on the bus", lachte ich. Sie hatten auch eine gute Tour im Süden. Wir verabschiedeten uns und schlenderten durch die Sonne. Auf den Eingangstreppen der Häuser saßen die Einheimischen bei einer Tasse Kaffee und einer Zigarette. Die Türen und Fenster standen offen und die Straßen lärmten schon am Morgen überfüllt. Hier schien man jeden Sonnenstrahl, der die Hauptstadt trifft, voll auszukosten. Die Bauarbeiter arbeiteten bei 14 °C mit freiem Oberkörper und auf den Bänken lagen die Leute ausgestreckt beim Sonnenbaden. Die knallbunten Häuser mit ihren Wellblechfassaden erstrahlten farbenfroh und hoben sich von den grauen mit Zement verputzten Gebäuden deutlich ab. Die Geschäfte stellten Kleiderständer auf die Gehsteige, die Pizza-Läden verkauften am offenen Fenster und die Kinder hatten alle Eistüten in der Hand. Diese sonst so triste und von nordischer Herbheit geprägte Stadt war wie verwandelt. Die dunklen und mit Unkraut überwucherten Hinterhöfe sahen auf einmal prima aus und es fanden sich sogar Fotomotive. Reykjavik hatte definitiv Charme. Wir tranken in einem kleinen Cafe einen spitzenmäßigen Latte Machiato und genossen das frische Gebäck, während die Leute in der Morgensonne draußen vorbei liefen. Jetzt hätte ich die schöne Atmosphäre gerne mit Ulli geteilt und ärgerte mich etwas, sie nicht dabei zu haben. Ich konnte nicht widerstehen und ging im 66° North-Shop Babysachen kaufen. Für unsere Tochter, die im Dezember zur Welt kommen wird, musste ich einfach diesen niedlichen roten Strampelanzug mit dem diagonalen Reißverschluss und der Kapuze haben. "Mensch, das gibt es doch im Netz viel billiger als hier auf der Tourimeile", kommentierte Tobias meinen Einkauf. "Ja, aber ich bin hier in Island und nicht im Interblöd und ich möchte das von hier mitbringen. Und selbst wenn das mit einem Mausklick auch die Hälfte kostet", verteidigte ich. Für Ulli besorgte ich noch kiloweise "Hraun-Bitar". Dann trödelten wir zum Campingplatz zurück, packten zusammen und marschierten zum BSI. Am Flughafen verschwanden unsere Münzen in den großen Sammelbüchsen und wir beide in einer der Aluminiumröhren mit den Flügeln dran. Unsere Wandertour auf der Vulkaninsel im Nordatlantik endet nach einer guten Woche. Die Eindrücke, die wir in diesen Tagen auf der Insel gewinnen durften, werden uns für immer gehören.

◊◊◊